Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuordnung der Arbeitnehmer bei mehreren zeitgleichen Betriebsübergängen
Leitsatz (amtlich)
1. Spaltet der Arbeitgeber seinen Betrieb in zwei Betriebe, die zeitgleich nach § 613 a BGB auf einen anderen Erwerber übergehen, verbleibt der dem bevorstehenden Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den einen Betrieb widersprechende Arbeitnehmer nicht zwangsläufig beschäftigungslos bei seinem „betrieblosen” Arbeitgeber.
2. Der Arbeitgeber hat vielmehr eine Zuordnung des Arbeitnehmers nach billigem Ermessen – unter Umständen zu dem anderen übergehenden Betrieb – vorzunehmen.
3. Kann der Arbeitnehmer in dem anderen Betrieb beschäftigt werden, folgt der Anspruch des Arbeitnehmers auf Zuordnung zum anderen Betrieb auch aus der sich aus § 611 BGB ergebenden vertraglichen Beschäftigungspflicht.
4. Entspricht die Zuordnung des Arbeitgebers nicht billigem Ermessen oder unterlässt der Arbeitgeber die Zuordnung, ist sie gem. § 315 Abs. 3 BGB durch das Gericht, auch ex tunc, zu treffen.
Normenkette
BGB §§ 613a, 315, 611
Verfahrensgang
ArbG Erfurt (Urteil vom 26.11.2010; Aktenzeichen 8 Ca 354/10) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 26. November 2010 – 8 Ca 354/10 – abgeändert.
Es wird festgestellt, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 1) seit dem 1. Januar 2010 ein Arbeitsverhältnis besteht.
Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, den Kläger zu den mit der Beklagten zu 2) bestehenden arbeitsvertraglichen Bedingungen als Callcenter-Agent bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiterzubeschäftigen.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens hat der Kläger zu 20 v. H. und die Beklagte zu 1) zu 80 v. H. zu tragen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu 1) zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Übergang des Arbeitsverhältnisses von der Beklagten zu 2) auf die Beklagte zu 1) zum 1. Januar 2010, über die Verpflichtung der Beklagten zu 1), den Kläger weiterzubeschäftigen und über die Rechtswirksamkeit einer von der Beklagten zu 2) ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist.
Der am 0.0.1961 geborene, verheiratete Kläger war zunächst seit 1. Januar 1985 bei der Deutschen Post, später Deutsche Telekom, beschäftigt. Die Deutsche Telekom AG (fortan: DT AG) betrieb 16 Callcenter, die ausgegliedert wurden. Das Callcenter in E., in dem der Kläger als Callcenter-Agent beschäftigt war, ging auf die V. GmbH über. Der Kläger unterzeichnete den ihm anlässlich des Betriebsübergangs von der V. GmbH vorgelegten Arbeitsvertrag, der u. a. eine Bezugnahme auf die bei der V. GmbH geltenden tariflichen Bestimmungen beinhaltete, nicht. Dennoch wurden die Tarifbestimmungen der V. angewandt.
Das Callcenter in E. wurde durch weiteren Betriebsübergang nach § 613 a BGB am 1. Mai 2007 von der Beklagten zu 2) übernommen. Die V. GmbH zahlte an die Beklagte zu 2) einen Betrag, dessen Höhe zwischen den Parteien streitig ist, um die Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer in dem Callcenter für eine nicht näher bestimmte Zeit zu sichern.
In dem Callcenter wurden neben der Telefontätigkeit Backofficetätigkeiten ausgeführt. Diese Tätigkeiten umfassten kaufmännische und administrative Endkundenprozesse. Es wurden Anfragen und Aufträge schriftlicher Art, per Fax oder Mail bearbeitet. Der Telefon- und der Backofficebereich waren nicht getrennt. Die Mitarbeiter konnten beide Tätigkeiten von ihrem Arbeitsplatz aus wahrnehmen.
Der Kläger wurde wie bisher als Callcenter-Agent zu den Tarifbedingungen der V. GmbH weiterbeschäftigt. Er wurde projektbezogen eingesetzt und leistete Schichtdienst entsprechend des jeweiligen Projektes sowie Samstags-, Sonn- und Feiertagsarbeit. Er erhielt eine monatliche Bruttovergütung von ca. 3.130,00 EUR.
Der Kläger ist Mitglied des bei der Beklagten zu 2) bestehenden Betriebsrates.
Zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs auf die Beklagte zu 2) waren im Callcenter ca. 200 Arbeitnehmer beschäftigt, die im Wesentlichen Tätigkeiten für die DT AG erbrachten. Nach der Übernahme erweiterte die Beklagte zu 2) das Geschäftsfeld durch die Gewinnung weiterer Aufträge von anderen Auftraggebern. Es wurden Neueinstellungen vorgenommen. Während die von der V. GmbH übernommenen Arbeitnehmer ein Jahreseinkommen zwischen 35.000,00 und 40.000,00 EUR brutto erzielten, wurde mit den neueingestellten Arbeitnehmern ein Jahresgehalt von 15.000,00 bis 17.000,00 EUR brutto vereinbart.
Die Beklagte zu 2) bot sämtlichen Mitarbeitern, die von der V. GmbH übernommen worden waren, so auch dem Kläger, am 19. Juli 2008 neue Arbeitsverträge zum 1. Januar 2009 an. Mit diesem Vertragsangebot waren schlechtere Konditionen verbunden. Die ursprüngliche Arbeitszeit sollte von 38 auf 40 Stunden pro Woche erhöht und die Vergütung abgesenkt werden, wobei eine Besitzstandszulage bis zum Jahr 2012 zugesichert wurde. Darüber hinaus war vorgesehen, die tariflichen Regelungen der DT...