Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwirkung des Widerspruchsrechts gegen den Betriebsübergang bei unzureichendem Bestreiten des Zugangs eines Unterrichtungsschreibens mit Nichtwissen
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang kann grundsätzlich auch eine widerspruchslose Weiterarbeit des Arbeitnehmers für die Betriebserwerberin zur Verwirkung des Widerspruchsrechts führen. Das setzt voraus, dass der Arbeitnehmer im Rahmen einer Unterrichtung gemäß § 613a Abs. 5 BGB von den dort genannten Personen über den mit dem Betriebsübergang verbundenen Übergang seines Arbeitsverhältnisses unter Mitteilung des Zeitpunkts oder des geplanten Zeitpunkts sowie des Gegenstands des Betriebsübergangs und der Betriebsübernehmerin ("grundlegende Informationen") in Textform in Kenntnis gesetzt und über sein Widerspruchsrecht nach § 613a Abs. 6 BGB belehrt wurde.
2. Es obliegt dem klagenden Arbeitnehmer, sich gemäß § 138 Abs. 2 ZPO auf den Vortrag der Beklagten zum behaupteten Zugang des Unterrichtungsschreibens einzulassen und diesen Sachvortrag erforderlichenfalls unter Berücksichtigung der beiderseitigen prozessualen Wahrheitspflichten tatsächlich begründet zu bestreiten. Ein nur in engen Grenzen zulässiges Bestreiten eigener Wahrnehmungen mit Nicht-(mehr-)wissen verlangt jedenfalls eine plausible Begründung dafür, warum man sich nicht mehr erinnern kann, wozu ein längerer Zeitablauf allein nicht ausreicht.
Normenkette
BGB §§ 613a, 242, 613a Abs. 1 S. 1, Abs. 5-6; ZPO § 138 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Erfurt (Entscheidung vom 25.11.2015; Aktenzeichen 4 Ca 262/15) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 25.11.2015 - 4 Ca 262/15 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses.
Der 1958 geborene Kläger war seit 1979 bei der Beklagten angestellt. Bis Dezember 2005 war er in deren Service-Niederlassung Verbundinstandhaltung als Service-Techniker tätig. Sie informierte u. a. den Kläger mit einem an seine Wohnanschrift gerichteten Schreiben vom 14.11.2005 darüber, dass sein Beschäftigungsbetrieb zum 01.01.2006 auf die neu gegründete D. GmbH übergehen werde, da die operativ technischen Dienstleistungen der Beklagten zusammen mit dem hier tätigen Personal und den Betriebsmitteln künftig von der Betriebserwerberin fortgeführt werden. Das Schreiben nennt die D. GmbH als Betriebserwerberin und neue Arbeitgeberin, nicht aber ihre Anschrift, ihren Sitz, das zuständige Registergericht, die Registernummer und auch nicht ihren Geschäftsführer. Es nennt den 01.01.2006 als Zeitpunkt des Betriebsübergangs. Zudem wurde dem Kläger mitgeteilt, dass auch sein Arbeitsverhältnis von dem Teilbetriebsübergang betroffen sei, dass er ein Recht zum Widerspruch habe und wie er dieses Recht ausüben könne. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 27 - 29 d.A. verwiesen.
Mit Schreiben vom 24.10.2014, der Beklagten am 27.10.2014 zugegangen, widersprach der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses zum 01.01.2006.
Mit seiner am 09.02.2015 beim Arbeitsgericht Erfurt eingegangenen Klage machte er den Fortbestand seines Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten geltend. Er könne sich heute nicht erinnern, dass ihm das Schreiben vom 14.11.2005 zugegangen sei. Damals sei er längere Zeit arbeitsunfähig gewesen. Die Unterrichtung sei aber ohnehin fehler- und lückenhaft, so dass die Widerspruchsfrist nach § 613a Abs. 6 BGB nicht in Gang gesetzt worden sei. Es fehlten nähere Angaben zur Betriebserwerberin, wie deren Sitz, Anschrift, Geschäftsführung, zuständiges Registergericht und Handelsregisternummer. Dies könne auch nicht durch spätere Korrespondenz geheilt werden. Es fehle die Belehrung, dass man auch gegenüber der Erwerberin widersprechen könne. Die Hinweise auf die wirtschaftlichen Folgen seien nicht präzise genug. Es fehle die Belehrung, dass man nach einem Widerspruch im Wege der Personalgestellung unverändert weiterbeschäftigt werde. Sein Widerspruchsrecht sei nicht verwirkt. Er habe keine arbeitsvertragliche Dispositionen getroffen, nur weiter gearbeitet.
Die Beklagte hat die Abweisung der Klage beantragt. Das Unterrichtungsschreiben sei unstreitig zugegangen, auch wenn sich der Kläger heute nur nicht mehr erinnern könne. Die angebliche Lücken- oder Fehlerhaftigkeit sei geheilt, v. a. die Identität der Erwerberin mit der folgenden Korrespondenz zeitnah geklärt worden. Sie sei auch nicht für den jahrelang unterlassenen Widerspruch kausal gewesen. Sein Grund liege allein in Gerüchten über etwaige künftig nachteilige Entwicklungen bei der Erwerberin. Über die Personalgestellung habe sie nicht unterrichten müssen, da sie nicht geplant und wegen des befristeten Kündigungsverbots nur aus der Not der Widersprüche in 2005 geboren war. Das Widerspruchsrecht des Klägers sei aber wegen des extrem langen Zeitraums seiner unwidersprochenen Weiterarbeit bei der Erwerberin verwirkt. Zudem habe er über all die Jahre be...