Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigungsbefugnis des Sequesters
Leitsatz (amtlich)
Auch in den neuen Bundesländern hat der Sequester im Rahmen des Gesamtvollstreckungsverfahrens ein eigenes Recht zur Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen einer von ihm angeordneten Betriebsstillegung nur dann, wenn die Aussprache der Kündigung im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung und Sicherung des Vermögens des Schuldners erforderlich ist und wenn dieses selbständige Kündigungsrecht vom Anordnungsbeschluss des Vollstreckungsgerichts erfasst wird.
Normenkette
GesO § 2; KO § 106
Verfahrensgang
ArbG Erfurt (Urteil vom 26.11.1996; Aktenzeichen 8 Ca 845/96) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Erfurt vom 26.11.1996 (8 Ca 845/96) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
Die im Kündigungszeitpunkt 33 Jahre alte, verheiratete und einem Kind unterhaltspflichtige Klägerin war seit dem 06.09.1994 bei der Fa E. GmbH (künftig: Gemeinschuldnerin), die mit zuletzt 77 Mitarbeitern elektronische Bauelemente herstellte, als technische Angestellte in der Produktion zu einer monatlichen Bruttovergütung von DM 2.300,00 beschäftigt.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Erfurt (93 N 891/95) vom 27.12.1995 (vgl. Kopie Bl. 64 d. A.) wurde mit Wirkung vom gleichen Tag in dem Gesamtvollstreckungseröffnungsverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin zur Sicherung der Masse ein allgemeines Veräußerungsverbot verhängt und die Sequestration des Geschäftsbetriebs der Gemeinschuldnerin angeordnet. Zum Sequester und Sachverständigen wurde der beklagte Rechtsanwalt bestellt. Auszugsweise heißt es im Anordnungsbeschluss weiter:
„Verpflichtende Rechtsgeschäfte sowie die Veräußerung von Vermögensgegenständen dürfen nur mit Zustimmung des Sequesters erfolgen, dieser ist auch zum Einzug von Forderungen berechtigt.
Verfügungen im Zusammenhang mit der Sicherung und Verwaltung des Vermögens stehen nur dem Sequester im Zusammenwirken mit der Schuldnerin zu. Die Schuldnerin hat sich insoweit jeder gesonderten Verfügung zu enthalten. …”
Mit Schreiben vom 29.01.1996 an das Arbeitsamt Erfurt zeigte der Beklagte die Absicht an, die Produktion per 01.02.1996 vollständig einzustellen und sämtliche Arbeitsverhältnisse unter Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu kündigen (vgl. Kopie des Schreibens nebst Anlagen Bl. 13 ff d. A.).
Auf einer Betriebsversammlung am 30.01.1996 überreichte er allen anwesenden Arbeitnehmern, darunter der Klägerin, das Kündigungsschreiben vom gleichen Tag.
Dieses Kündigungsschreiben lautet auszugsweise:
„Ihr bestehendes Arbeitsverhältnis wird mit Zustimmung des Geschäftsführers unter Wahrung der bestehenden Kündigungsfrist zum 29.02.1996 gekündigt.”
Am 31.01.1996 stellte der Beklagte die betriebliche Produktion ein.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Erfurt vom 01.02.1996, 8.00 Uhr wurde die Gesamtvollstreckung eröffnet und der Beklagte zum Verwalter des Vermögens der Gemeinschuldnerin bestimmt.
Mit Schreiben vom gleichen Tag (vgl. Kopie Bl. 79 d. A.) stellte er die Klägerin wie alle anderen Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unter Anrechnung des Urlaubs von der Arbeitsverpflichtung frei.
Mit Schreiben vom 06.02.1996 (vgl. Kopie Bl. 30 d. A.), das dem Beklagten am nächsten Tag zuging, wies die Klägerin die Kündigung unter Berufung auf § 174 BGB zurück und bestritt die Befugnis des Beklagten zu ihrem Ausspruch.
Mit Schreiben vom 14.03.1996 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut zum 30.04.1996; diese Kündigung hat die Klägerin hingenommen.
Die Klägerin hat die Rechtsauffassung vertreten, dass die Kündigung unwirksam sei, weil der Beklagte als Sequester zu ihrem Ausspruch nicht berechtigt gewesen sei.
Die Klägerin hat beantragt:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 31.01.1996 beendet wurde, sondern durch die Kündigung vom 14.03.1996 zum 30.04.1996.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, dass er auch ohne Zustimmung des Geschäftsführers der Gemeinschuldnerin zum Ausspruch der Kündigung berechtigt gewesen sei, und hat dazu behauptet, es habe sich um eine unaufschiebbare Maßnahme zur Sicherung der Masse gehandelt. Die Betriebsstillegung sei notwendig gewesen, da eine Weiterführung der Firma durch ihn unter wirtschaftlichen und kaufmännischen Gesichtspunkten in keiner Weise mehr möglich gewesen wäre. Der ehemalige Geschäftsführer der Gemeinschuldnerin habe nur gegenüber dem Amtsgericht Erfurt den Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens gestellt und sei anschließend nicht mehr im Unternehmen tätig und seit Ende 1995 für ihn – den Beklagten – weder direkt noch telefonisch erreichbar gewesen. Das Unternehmen sei quasi führungslos gewesen. Herr F. sei seit Mitte 1995 geschäftsführender Gesellschafter gewesen und habe den Mitarbeiter Dr....