Entscheidungsstichwort (Thema)
Wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung. Abgrenzung zwischen Schmähkritik und freier Meinungsäußerung. Schranken des Rechts auf freie Meinungsäußerung. Freiheit der Meinungsäußerung aus Art. 10 EMRK
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einer fristlosen Kündigung ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich", d. h. typischerweise, als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der Umstände des Falls jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht.
2. Will der Arbeitnehmer mit sehr überspitzter Kritik verschiedene Missstände aus dem Betrieb seines Arbeitgebers öffentlich benennen, beabsichtigt er auch eine Auseinandersetzung in der Sache, sodass die Grundsätze über die Schmähkritik, die nicht unter dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG steht, nicht zur Anwendung kommen.
3. Das Recht auf Meinungsfreiheit gilt nicht schrankenlos. Unter anderem gehört § 241 Abs. 2 BGB zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt und der Meinungsfreiheit dabei die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden und umgekehrt.
4. Die Freiheit der Meinungsäußerung ist auch in Art. 10 EMRK gewährleistet. Deshalb ist Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG im Lichte und im Einklang mit Art. 10 EMRK auszulegen und anzuwenden. Danach gilt, dass, wer Missstände bei seinem Arbeitgeber öffentlich machen will, zunächst verpflichtet ist, die Tatsachen, die er öffentlich machen will, selbst zunächst einer sorgfältigen Prüfung zu unterziehen, bevor er damit an die Öffentlichkeit geht.
Normenkette
EMRK Art. 10; Richtlinie 2011/24/EU Art. 2; RL (EU) 2019/1937 Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1; GG Art. 5 Abs. 1; BGB § 241 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Suhl (Entscheidung vom 20.05.2022; Aktenzeichen 3 Ca 87/22) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Suhl vom 20.5.2022 - 3 Ca 87/22 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 21.02.2022 und einer hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 17.03.2022.
Der Kläger war seit dem 01.10.2020 bei der Beklagten als Mitarbeiter im therapeutischen Team mit einer 40-Stunden-Woche bei einem Bruttomonatsentgelt in Höhe von 4.317,77 € beschäftigt. Der Kläger war einem Schwerbehinderten gleichgestellt. Mit Schreiben vom 17.01.2022, dem Kläger einen Tag später zugegangen, erklärte die Beklagte dem Kläger gegenüber eine außerordentliche Kündigung. Hintergrund war der Vorwurf, der Kläger habe im Rahmen seiner Arbeit gegenüber im Maßregelvollzug Untergebrachten vorgeschlagen, für eine andere Mitarbeiterin einen Holzdildo als Weihnachtsgeschenk zu basteln. Dieser Sachverhalt lag auch der später erklärten hilfsweisen ordentlichen Kündigung vom 17.03.2022 zugrunde.
Am 24.01.2022 erhielt die Beklagte Kenntnis davon, dass der Kläger für den verstorbenen Untergebrachten A... im Internet eine Gedenkseite eingerichtet hatte. Dort formulierte er wörtlich:
"A... durfte nach einem ungleichen Kampf, den er nicht gewinnen konnte, friedlich einschlafen, den er den B... Fachkliniken C... mit seiner Oberärztin D... mit zu verdanken hatte, die ein fachärztliches Konsil über Monate hinweg hinauszögerte."
Der Kläger verfasste unter dem Pseudonym "E..." in einer Internetpublikation online unter der URL: https://www.F... einen Artikel. Dort schrieb der Kläger unter der Überschrift "Bossing und Mobbing" davon, dass der Thüringer Maßregelvollzug noch nicht verstaatlicht worden sei und kritisierte permanente Rechtsbrüche von privaten Betreibern. Als solche führte er Datenschutzverletzungen durch leitende Mitarbeiter, Schreibtischdurchsuchungen und Bloßstellungen von schwerbehinderten Mitarbeitenden sowie einen "Betriebsrat" auf, dessen einzelne Mitglieder sich für Mobbing "verzwecken" ließen. Ferner verwies er darauf, dass ein Mitarbeiter auf das Übelste bloßgestellt worden sei und man mit diesem einen "kurzen Prozess" gemacht habe. Er behauptete weiter, aus Protest gegen die Zustände seien im Maßregelvollzug Untergebrachte in den Hungerstreik getreten und würden medizinisch unzureichend versorgt. Wegen der weiteren Einzelheiten sowohl des Inhaltes der Gedenkseite für den ehemals untergebrachten A... als auch den Artikel in dem Internetmagazin G... wird auf die hiervon zu den Akten gereichten Ausdrucke (Bl. 64 - 69 der erstinstanzlich hinzuverbundenen Akte 3 Ca 198/22 Arbeitsgericht Suhl) Bezug genommen.
Am 25.01.2022 erhielt die Beklagte einen Brief des Klägers, bei dem auf dem Briefumschlag als Adresse angegeben war "B... Fachklinik für Bossing & M...