Verfahrensgang
ArbG Eisenach (Urteil vom 11.11.1992; Aktenzeichen 3 (4) Ca 899/92) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des beklagten Landes wird das Urteil des Kreisgerichts Eisenach vom 11.11.1992 – 3 (4) Ca 899/92 – abgeändert.
2. Die Klägerin wird mit der Klage abgewiesen.
3. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen personenbedingten Kündigung nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages.
Das beklagte Land stützt die Kündigung auf die Bestimmung der Anl. I Kap. XIX, Sachgebiet A, Absch. III Nr. 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Einigungsvertrages vom 31.08.1990 (im Folgenden nur noch: Abs. 4 EV).
Die 49jährige Klägerin besitzt die Lehrbefähigung für Mathematik, Physik und Astronomie. Von 1967 bis 1981 war sie als Lehrerin und – in der Zeit ab 1973 – stellvertretende Direktorin für Planung in B.ig. Von 1982 bis 1987 war die Klägerin Schulinspektorin beim Rat des Kreises B.. Im Anschluß hieran fungierte sie in den Jahren 1987 bis 1990 als Leiterin der Schulinspektion des Kreises B.. Von Mai 1990 bis September 1991 arbeitete die Klägerin im Schulamt des Landkreises B.. Ab September 1991 war die Klägerin wiederum als Lehrerin tätig. 1977 wurde die Klägerin zur Oberlehrerin und 1989 zur Studienrätin befördert. Sie besuchte 1977 bis 1978 das Institut für Leitung und Organisation (ILO) in P. und von 1986 bis 1987 die Bezirksparteischule. Von 1982 bis 1984 war sie stellvertretender Parteigruppensekretär (der SED) und von 1987 bis 1989 Sekretär der Abteilungsparteiorganisation (APO).
Die Personalakte der Klägerin besteht wie diejenige so gut wie aller Lehrer, denen in Thüringen personenbedingt gekündigt wurde, aus dem Personalbogen, dem Protokoll zur Anhörung vor der Überprüfungskommission in W. und aus zu Personalakten zu nehmenden Vorgängen aus der Zeit nach der Wende. Unterlagen aus der Zeit davor sind mit Ausnahme der Befähigungsnachweise nicht vorhanden, weil die Personalakten aufgrund des sogenannten Modrow-Erlasses vom 22.02.1990 (§ 4 Abs. 1 der Verordnung zur Arbeit mit Personalunterlagen vom 22.02.1990, GBl. I, 84) „bereinigt” wurden. Entweder geschah dieses durch die öffentlich Bediensteten selbst oder durch ihre Vorgesetzten.
Die Klägerin war nach der Wende als Lehrerin im Dienste des Landes Thüringen tätig.
Mit Verabschiedung des vorläufigen Bildungsgesetzes vom 25.03.1991 (GVBl. S. 61) leitete das beklagte Land die Überprüfung der persönlichen Eignung aller im Landesdienst beschäftigten Lehrer ein. Zu diesem Zweck wurden bei den Schulämtern Kommissionen eingerichtet, denen der Schulamtsleiter, ein Mitglied des Kreisbildungsausschusses, ein Mitglied des Kollegiums der Schule und ein von der Elternversammlung der Schule gewählter Elternvertreter angehörten. Die Überprüfung durch die „Schulamtskommissionen” wurde im Sommer 1991 abgeschlossen. In etwa 4500 Fällen legten die Kommissionen die Sache wegen bestehender Bedenken dem Kultusministerium des beklagten Landes vor. Bei dem Kultusministerium wurde im August 1991 eine zweite Kommission mit dem Sitz in W. eingerichtet. Diese bestand aus mehreren Arbeitsgruppen, die jeweils mit zwei Lehrern aus Thüringen und einem Volljuristen besetzt waren. Bei der Prüfung nach Aktenlage kam diese Kommission zu dem Ergebnis, daß in ca. 1500 Fällen die Bedenken nicht aufrecht zu erhalten seien. Die übrig gebliebenen ca. 3000 Bediensteten wurden mündlich angehört. In mehr als 1000 Fällen führte die Anhörung zum Wegfall der Zweifel. Das Kultusministerium prüfte jeden Fall nach dem Anhörungsverfahren nochmals. Nach Abzug der durch Aufhebungsvertrag oder auf andere Weise beendeten Arbeitsverhältnisse verblieben 1483 Fälle, in denen die Kündigung eingeleitet wurde.
Die Klägerin wurde am 13.08.1991 vor der „W.-Kommission” angehört.
Am 18.02.1992 verabschiedete die Thüringer Landesregierung Richtlinien für die ordentliche Kündigung von Lehrern und Erziehern wegen mangelnder persönlicher Eignung für den Landesdienst (Thüringer Staatsanzeiger 1992, S. 359). Auszugsweise lautet diese Richtlinie wie folgt:
I.
Das vorläufige Bildungsgesetz (VBiG) des Landes Thüringen vom 25. März 1991 (GVBl. S. 61) leitet den Auftrag der Bildungseinrichtungen von den Wertvorstellungen des freiheitlichen demokratischen und sozialen Rechtsstaates ab, wie sie im Grundgesetz zum Ausdruck kommen, und richtet diesen Auftrag nach einem Menschenbild aus, das, eingebettet in die europäische humanistische Tradition, gekennzeichnet ist von Freiheit, Toleranz, Individualität und Verantwortung, insbesondere für die Erhaltung und den Schutz der natürlichen Umwelt (§ 2 Abs. 1, Satz 1, 2 VBiG).
Persönlich geeignet für pädagogische Arbeit zur Erfüllung des Auftrages des Vorläufigen Bildungsgesetzes sind nur solche Lehrer und Erzieher, welche die Gewähr dafür bieten, daß sie sich durch ihr gesamtes Verhalten jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung ein...