Verfahrensgang
ArbG Jena (Urteil vom 23.04.1993; Aktenzeichen 3 Ca 752/92) |
Tenor
Es ergeht folgendes
Urteil
1) Das Urteil des Arbeitsgerichts Jena vom 23.04.1993 – 3 Ca 752/92 – wird abgeändert.
2) Der Kläger wird mit der Klage abgewiesen.
3) Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits
4) Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung nach den Bestimmungen des Einigungsvertrages.
Das beklagte Land stützt die Kündigung auf die Bestimmung der Anl. I Kap. XIX, Sachgebiet A, Absch. III Nr. 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Einigungsvertrages vom 31.08.1990 (im Folgenden nur noch: Abs. 4 EV).
Der 54-jährige Kläger besitzt die Lehrbefähigung für Mathematik und für die Grundlagen der industriellen Produktion. Seit 1964 war er als Lehrer tätig. Von 1977 bis 1979 war der Kläger Direktor. Von diesem Amt wurde er auf eigenen Antrag abberufen. 1975 besuchte der Kläger die Bezirksparteischule und 1979 das Institut für Leitung und Organisation (ILO) in P. Von 1982 bis 1989 war der Kläger Schulparteisekretär (Sekretär der SED-Grundorganisation an seiner Schule). 1986 wurde er zum Oberlehrer und 1988 zum Studienrat befördert.
Die Personalakte des Klägers besteht wie diejenige so gut wie aller Lehrer, denen in Thüringen personenbedingt gekündigt wurde, aus dem Personalbogen, dem Protokoll zur Anhörung vor der Überprüfungskommission in W. und aus zu Personalakten zu nehmenden Vorgängen aus der Zeit nach der Wende. Unterlagen aus der Zeit davor sind mit Ausnahme der Befähigungsnachweise nicht vorhanden, weil die Personalakten aufgrund des sogenannten Modrow-Erlasses vom 22.02.1990 (§ 4 Abs. 1 der Verordnung zur Arbeit mit Personalunterlagen vom 22.02.1990, GBl. I, 84) „bereinigt” wurden. Entweder geschah dieses durch die öffentlich Bediensteten selbst oder durch ihre Vorgesetzten.
Mit Verabschiedung des vorläufigen Bildungsgesetzes vom 25.03.1991 (GVBl. S. 61) leitete das beklagte Land die Überprüfung der persönlichen Eignung aller im Landesdienst beschäftigten Lehrer ein. Zu diesem Zweck wurden bei den Schulämtern Kommissionen eingerichtet, denen der Schulamtsleiter, ein Mitglied des Kreisbildungsausschusses, ein Mitglied des Kollegiums der Schule und ein von der Elternversammlung der Schule gewählter Elternvertreter angehörten. Die Überprüfung durch die „Schulamtskommissionen” wurde im Sommer 1991 abgeschlossen. In etwa 4 500 Fällen legten die Kommissionen die Sache wegen bestehender Bedenken dem Kultusministerium des beklagten Landes vor. Bei dem Kultusministerium wurde im August 1991 eine zweite Kommission mit dem Sitz in W. eingerichtet. Diese bestand aus mehreren Arbeitsgruppen, die jeweils mit zwei Lehrern aus Thüringen und einem Volljuristen besetzt waren. Bei der Prüfung nach Aktenlage kam diese Kommission zu dem Ergebnis, daß in ca. 1 500 Fällen die Bedenken nicht aufrecht zu erhalten seien. Die übrig gebliebenen ca. 3 000 Bediensteten wurden mündlich angehört. In mehr als 1 000 Fällen führte die Anhörung zum Wegfall der Zweifel. Das Kultusministerium prüfte jeden Fall nach dem Anhörungsverfahren nochmals. Nach Abzug der durch Aufhebungsvertrag oder auf andere Weise beendeten Arbeitsverhältnisse verblieben 1 483 Fälle, in denen die Kündigung eingeleitet wurde.
Der Kläger wurde am 28.10.1991 vor der „W.-Kommission” angehört.
Am 18.02.1992 verabschiedete die Thüringer Landesregierung Richtlinien für die ordentliche Kündigung von Lehrern und Erziehern wegen mangelnder persönlicher Eignung für den Landesdienst (Thüringer Staatsanzeiger 1992, S. 359). Auszugsweise lautet diese Richtlinie wie folgt:
I.
Das vorläufige Bildungsgesetz (VBiG) des Landes Thüringen vom 25. März 1991 (GVBl. S. 61) leitet den Auftrag der Bildungseinrichtungen von den Wertvorstellungen des freiheitlichen demokratischen und sozialen Rechtsstaates ab, wie sie im Grundgesetz zum Ausdruck kommen, und richtet diesen Auftrag nach einem Menschenbild aus, das, eingebettet in die europäische humanistische Tradition, gekennzeichnet ist von Freiheit, Toleranz, Individualität und Verantwortung, insbesondere für die Erhaltung und den Schutz der natürlichen Umwelt (§ 2 Abs. 1, Satz 1, 2 VBiG).
Persönlich geeignet für pädagogische Arbeit zur Erfüllung des Auftrages des Vorläufigen Bildungsgesetzes sind nur solche Lehrer und Erzieher, welche die Gewähr dafür bieten, daß sie sich durch ihr gesamtes Verhalten jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung einsetzen.
II.
1. Die persönliche Eignung im Sinne der Anlage 1 Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Nr. 1 zum Einigungsvertrag für den Dienst als Lehrer oder Erzieher fehlt, wenn ein Bediensteter…
2. Als Anzeichen für das Fehlen der persönlichen Eignung im Sinne der Anlage 1 Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 4 Nr. 1 zum Einigungsvertrag für den Dienst als Lehrer oder Erzieher kann angesehen werden
die Wahrnehmung einer leitenden Funktion
aa) in einer Partei, insbesondere der SED, oder eine Massenorganisation der DD...