Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung
Leitsatz (amtlich)
Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis wegen wahrheitswidriger Ausfüllung des Personalfragebogens zunächst außerordentlich und hilfsweise ordentlich, liegt hierin jedenfalls dann keine Bestätigung des Arbeitsvertrages i. S. des § 144 BGB, wenn der Arbeitgeber irrtümlich davon ausging, die Kündigungsmöglichkeiten nach dem Einigungsvertrag schlössen die Anfechtung aus.
Normenkette
BGB §§ 123-124, 144
Verfahrensgang
ArbG Gera (Urteil vom 05.03.1996; Aktenzeichen 2 Ca 2697/95) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gera vom 05.03.1996 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der 1940 geborene Kläger studierte von 1961 bis 1965 an der Technischen Hochschule M. Chemie. Nachdem er durch das MfS unter Druck gesetzt worden war, verfaßte er am 13.11.1961 eine handschriftliche Erklärung, in der er sich verpflichtete, auf freiwilliger Grundlage mit dem Ministerium für Staatssicherheit zusammenzuarbeiten.
In der Folgezeit bis zum 12.07.1967 fertigte der Kläger ausweislich der Auskunft des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes 12 handschriftliche mit seinem Decknamen unterschriebene Berichte. Es gab 16 Treffberichte bzw. Treffauswertungen der Führungsoffiziere. Mit Beschluß vom 12.07.1967 wurde der IM-Vorgang archiviert.
Nach Ableistung seines Wehrdienstes war er beim VEB I. H. beschäftigt, wo er erneut vom MfS umworben wurde. Am 23.04.1968 unterzeichnete der Kläger handschriftlich erneut eine Verpflichtungserklärung, wegen deren Inhalt auf Blatt 81 der Akten Bezug genommen wird. In der Folgezeit fertigte der Kläger fünf handschriftliche, mit seinem Decknamen unterschriebene Berichte. Darüber hinaus gab es ausweislich der Auskunft des Beauftragten für die Unterlagen des MfS 19 Treffberichte der Führungsoffiziere und sechs Berichte der Führungsoffiziere nach mündlichen Informationen des IM. Im November 1974 brach die Verbindung zwischen dem Kläger und dem MfS endgültig ab. Im Januar 1975 wurde der IM-Vorgang zur Archivierung angewiesen. Nachdem der Kläger 1972 Betriebsdirektor des VEB I. H. geworden war, wurde er nach der Wiedervereinigung von der Treuhand als Betriebsleiter beschäftigt im Rahmen einer Bewerbung bei dem Beklagten füllte der Kläger am 17.06.1991 einen Fragebogen zur Ergänzung des Personalbogens-Erklärung aus, wegen dessen Inhalt auf Blatt 47 der Akten verwiesen wird
Die Frage,
„Haben Sie mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) oder dem Amt für Nationale Sicherheit (AfNS) hauptamtlich/nebenamtlich gegen Vergütung/ohne Vergütung oder in sonstiger Weise zusammengearbeitet? (wenn ja, in welcher Funktion und bei welcher Gelegenheit?)”
beantwortete der Kläger wie folgt:
„Zwangsweise Kontakte zum MfS während der Zeit der Funktion Betriebsdirektor/Personalleiter des VEB I. H. z. B. vor Einberufung Wehrdienstpflichtiger zum Grundwehrdienst/Grenztruppen sowie bei besonderen Vorfällen z. B. tödlicher Verkehrsunfall auf dem Betriebsgelände, Kesselwagenbrand”.
Die Frage,
„Sind sie von einem der in Nr. 1 genannten Dienste zur Mitarbeit angesprochen worden? (wenn ja wann, mit welchem Ergebnis?)”.
beantwortete der Kläger wie folgt:
„1962–1965 Kontakte von Mitarbeitern des MfS zwecks Aufnahme einer hauptamtlichen Tätigkeit nach Ende des Studiums. Hauptamtliche Tätigkeit abgelehnt.”
Das Ministerium des Beklagten nahm bei Neueinstellungen eine Überprüfung entsprechend dem Einigungsvertrag vor, wobei auch Personen eingestellt wurden, die in dem Personalfragebogen eine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit bejaht hatten. Differenziert wurde jeweils nach Tätigkeit und der Art. der zu besetzenden Stelle. Die Stelle eines Abteilungsleiters hätte der Beklagte nicht mit einer Person besetzt, welche für das Ministerium für Staatssicherheit tätig geworden war.
Der Kläger wurde zum 01.12.1991 als Abteilungsleiter im Technischen Aufsichtsdienst (TAD) im Amt für Arbeitsschutz eingestellt. Mit Änderungsvertrag vom 24.05.1993 wurde er von der Vergütungsgruppe III in die Vergütungsgruppe II a des BAT-O hochgestuft. Zuletzt bezog er ein monatliches Bruttogehalt von 5.665,34 DM.
Am 09.08.1994 gingen dem Beklagten über die Außenstelle E. des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes die Zusammenfassung sowie die Anlagen über die inoffizielle Tätigkeit des Klägers für das Ministerium für Staatssicherheit zu. Am 16.08.1994 wurde der Kläger hinsichtlich dieser Tätigkeit von dem Beklagten angehört.
Mit Schreiben vom 30.09.1994 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zunächst außerordentlich zum 15.10.1994. Eine hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage des Klägers war erfolgreich. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der außerordentlichen Kündigung und auch noch in dem Rechtsstreit vertrat der Beklagte die Rechtsauffassung, der spezielle Kündigungstatbestand gem. Abs. 5 Nr. 2 der Anlage zum Einigungsvertrag stell...