Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Entschädigung des sachverständigen Zeugen. Voraussetzungen einer gutachterlichen Äußerung nach § 10 Abs 1 Anl 2 Nr 202 JVEG. Erinnerung. Sachverständiger Zeuge. Entschädigung. Gutachterliche Äußerung. Befundberichte in der Augenheilkunde
Leitsatz (amtlich)
Eine gutachterliche Äußerung nach Nr 202 der Anl 2 zu § 10 Abs 1 JVEG setzt voraus, dass aus bestimmten Tatsachen konkrete Schlussfolgerungen gezogen, Kenntnisse von Erfahrungssätzen oder mit besonderem Fachwissen Tatsachen (neu) festgestellt werden.
Leitsatz (redaktionell)
Für das Fachgebiet der Augenheilkunde gelten bezüglich der Beurteilung, ob eine gutachterliche Äußerung vorliegt oder nicht, im Vergleich zu anderen ärztlichen Fachgebieten keine Besonderheiten.
Normenkette
JVEG § 10 Abs. 1, § 4 Abs. 1, 4, 8, §§ 19, 12 Abs. 1, § 7 Abs. 2; ZPO § 414
Gründe
I.
In dem Berufungsverfahren A. G. ./. Deutsche Rentenversicherung Bund (Az.: L 1 R 1108/08) forderte die Berichterstatterin des 1. Senats des Thüringer Landessozialgerichts mit Verfügung vom 4. März 2009 bei dem Erinnerungsführer, bis 2007 behandelnder Augenarzt der Klägerin, einen Befundbericht unter Benutzung des beigefügten Formulars an. Dieses enthält insgesamt 11 Fragen (erste und letzte Untersuchung, Beschwerden der Klägerin, erhobene Befunde, Diagnosen, klinische Behandlungen oder Untersuchungen, Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit, Verschlechterung/Verbesserung der erhobenen Befunde, Hinzukommen/Wegfall von Leiden, Zeitpunkt der Veränderung im Gesundheitszustand, Ort der Anforderung weiterer Unterlagen, Raum für weitere Fragen). Das ausgefüllte Formular vom 15. August 2009 und eine Rechnung über 39,05 Euro gingen am 21. August 2009 beim Thüringer Landessozialgericht ein.
Mit Verfügung vom 10. September 2009 kürzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) den Betrag auf 23,15 Euro und führte aus, für einen Befundbericht ohne nähere gutachterliche Äußerung werde nach Nr. 200 der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG) 21,00 Euro erstattet. Der geltend gemachte Betrag von 38,00 Euro nach Nr. 202 der Anlage 2 komme nur bei der Beauftragung einer hier nicht vorliegenden gutachterlichen Äußerung in Betracht.
Am 12. Oktober 2009 hat der Erinnerungsführer die richterliche Festsetzung beantragt und zur Begründung u.a. vorgetragen, tatsächlich handle es sich bei dem Befundbericht "de jure und medizinisch" um ein auf eigener ärztlicher Leistung beruhendes Formgutachten. Dies ergebe sich auch aus einem beigefügten Auszug von Lachenmyr in "Begutachtung in der Augenheilkunde". Er müsse zwei Praxen mit sämtlichen Kosten und Nebenkosten tragen und wende für die Erstellung eines Befundberichts eine Arbeitszeit von mindestens einer halben Stunde auf.
Die UKB hat der Erinnerung nicht abgeholfen (Verfügung vom 14. Oktober 2009) und sie dem erkennenden Senat vorgelegt.
II.
Auf die nach § 4 Abs. 1 JVEG zulässige Erinnerung war die Vergütung für den Befundbericht (oder Befundschein) vom 15. August 2009 auf 24,65 Euro festzusetzen.
Für den sachverständigen Zeugen gelten die Vorschriften über den Zeugenbeweis einschließlich der Regelungen über deren Entschädigung nach § 19 JVEG sowie die Sonderregelungen in § 10 Abs. 1 JVEG, wenn er entsprechende Leistungen erbringt. Nach der Anlage 2 zu § 10 Abs. 1 JVEG wird die Ausstellung eines Befundscheins wie folgt entschädigt:
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Nr. 200 |
ohne nähere gutachtliche Äußerung |
21,00 Euro |
Nr. 201 |
Leistung der in Nr. 200 genannten Art ist außergewöhnlich umfangreich |
bis zu 44,00 Euro |
Nr. 202 |
ärztlicher Befund mit von der heranziehenden Stelle geforderter kurzer gutachtlicher Äußerung oder Formbogengutachten, wenn sich die Fragen auf Vorgeschichte, Angaben und Befund beschränken und nur ein kurzes Gutachten erfordern |
38,00 Euro |
Nr. 203 |
Leistung der in Nr. 202 genannten Art ist außergewöhnlich umfangreich |
bis zu 75,00 Euro. |
Der Erinnerungsführer ist sachverständiger Zeuge (§ 414 der Zivilprozessordnung ≪ZPO≫), denn er berichtete als (früher) behandelnder Augenarzt über vergangene Tatsachen und Zustände, die er kraft besonderer Sachkunde ohne Zusammenhang mit einem gerichtlichen Gutachtensauftrag wahrgenommen hatte (vgl. Bundessozialgericht ≪BSG≫, Urteil vom 26. November 1991 - Az.: 9a RV 25/90, nach juris; Senatsbeschlüsse vom 27. Februar 2008 - Az.: L 6 B 134/07 SF und 30. November 2005 - Az.: L 6 SF 738/05; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 9. Auflage 2008, § 118 Rdnr. 10c). Sein Bericht ist ein reiner Befundschein und einhält nur Formularauskünfte zu bereits aktenkundigen Tatsachen aus vorliegenden Unterlagen aber keine gutachterliche Äußerung.
Der Anspruch auf Vergütung nach dem JVEG hängt nicht davon ab, wie der Erinnerungsführer seinen Auftrag verstanden hat, sondern wie er ihn verstehen durfte, denn behördliche und gerichtliche Verlautbarungen sind grundsätzlich immer so zu verstehen, wie dies verständige Empfänger unter Würdigung aller ihnen bekannten Umstände aufz...