Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Sachverständigenvergütung. berufskundliches Gutachten. Kürzung der Gutachtensrechnung. Schweigen. Nachforderung. Erinnerung. keine Verwirkung durch bloßen Zeitablauf. gerichtliche Festsetzung der beantragten Vergütung trotz Rechenfehlers

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Rechtsinstitut der Verwirkung gilt auch im Kostenrecht (vgl LSG Darmstadt vom 29.9.2005 - L 5 B 148/05 R).

2. Die Verwirkung des Erinnerungsrechts kommt nicht in Betracht, wenn sich die Erinnerungsführerin erst 29 Monate nach Zugang der Entscheidung des Urkundsbeamten gegen diese wendet.

3. Schweigen ist im Rechtsverkehr keine Zustimmung, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten (vgl BSG vom 1.7.2014 - B 1 KR 47/12 R = SGb 2014, 497).

4. Auch bei einem Rechenfehler der Erinnerungsführerin kann das Gericht keine höhere Vergütung als beantragt festsetzen.

5. Zur Vergütung eines berufskundlichen Gutachtens.

 

Normenkette

JVEG § 2 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 1, § 8 Abs. 1-2, § 9 Abs. 1

 

Tenor

Die Vergütung der Erinnerungsführerin für das Gutachten vom 16. August 2012 wird auf 1.133,12 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Erinnerung zurückgewiesen.

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

 

Gründe

I.

Im Berufungsverfahren L 6 R 1029/07 beauftragte die Berichterstatterin des 6. Senats mit Beweisanordnung vom 2. Juni 2010 die Erinnerungsführerin, Sachverständige für Berufskunde und Tätigkeitsanalyse, mit der Erstattung eines berufskundlichen Gutachtens nach § 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Sie solle unter Verwertung des in den vorliegenden medizinischen Gutachten, insbesondere im Gutachten des Dr. H. und im Reha-Entlassungsbericht der … …, beschriebenen Leistungsvermögens dazu Stellung nehmen, ob der Kläger noch in der Lage sei, eine Tätigkeit als Zimmerer bzw. nach einer Einarbeitungszeit von maximal drei Monaten als Hausmeister oder andere Verweisungstätigkeiten vollwertig zu verrichten. Übersandt wurden der Erinnerungsführerin insgesamt 511 Blatt Akten (378 Blatt Gerichtsakte, 133 Blatt Verwaltungsakte). Unter dem 22. Juni 2010 berichtete sie, der Zeitaufwand werde angesichts umfangreicher Recherchen ca. 30 bis 35 Stunden betragen und das Gutachten werde frühestens ca. am 15. Oktober 2010 fertiggestellt werden; üblicherweise berechne sie die Honorargruppe 6. Daraufhin teilte ihr der Senatsvorsitzende mit, zur Höhe der Honorierung könnten keine Zusagen gemacht werden; nach der Senatsrechtsprechung (vgl. Beschluss vom 8. September 2009 - L 6 SF 49/08) würden berufskundliche Gutachten entsprechend der Honorargruppe 7 vergütet. Am 17. August 2012 ging das Gutachten vom 16. August 2012 auf 17 Blatt einschließlich Vorblatt, Inhaltsverzeichnis und Anschreiben beim Senat ein. In ihrer Kostenrechnung vom 17. August 2011 begehrte die Erinnerungsführerin eine Vergütung von 2.526,91 Euro (28,17 Stunden x 75 Euro ≪Honorargruppe 6≫). Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Bl. 28f. des Kostenhefts verwiesen. Mit Verfügung vom 19. Dezember 2011 kürzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (UdG) den Zeitansatz auf 11,5 Stunden zu einem Stundensatz von 75,00 Euro und wies insgesamt 1.064,69 Euro (einschließlich Porto und Schreibauslagen) an.

Am 10. Juni 2014 ist beim Senat ein Schriftsatz der Erinnerungsführerin eingegangen, wonach sie versehentlich keine neue korrigierte Rechnung übersandt habe und daher jetzt, ausgehend von der Honorargruppe 7, um Überweisung des Differenzbetrages in Höhe von 1.462,22 Euro bitte. Beigefügt ist eine “korrigierte Rechnung„, in dem als “Gesamtbetrag„ - rechnerisch fehlerhaft- 2.526,91 Euro angegeben sind. Nach Ansicht der Erinnerungsführerin kommt eine Verwirkung ihres Anspruchs entsprechend dem Beschluss des SG Kassel vom 14. Oktober 2013 - S 10 SF 26/12 K nicht in Betracht, weil der dortige Sachverhalt unterschiedlich gewesen sei.

Nach Ansicht des Beschwerdegegners ist die Geltendmachung einer höheren Entschädigung verwirkt. Im Übrigen bestehe in der Sache bei Berücksichtigung der Honorargruppe 7 allenfalls ein weiterer Anspruch in Höhe von 68,43 Euro (5 Euro x 11 Stunden zuzüglich USt).

Der UdG hat dem Antrag nicht abgeholfen (Verfügung vom 11. Juni 2014) und ihn dem Senat vorgelegt. Der Senatsvorsitzende hat das Verfahren mit Beschluss vom 8. Dezember 2014 nach § 4 Abs. 7 S. 2 des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG) dem Senat übertragen.

II.

Das am 10. Juni 2014 eingegangene Nachforderungsschreiben ist als Antrag auf richterliche Festsetzung nach § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG auszulegen. Danach erfolgt die Festsetzung der Vergütung durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse die gerichtliche Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen erachtet. Zuständig ist das Gericht, von dem der Berechtigte herangezogen worden ist (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG). Die Erinnerungsführerin ist Berechtigte im Sinne dieser Vorschrift.

Der Antrag (Erinnerung) ist nach dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 JVEG nicht an eine Frist gebunden. Sie ist im ...

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