Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Sachverständigenvergütung. Zeitaufwand des Sachverständigen. berufskundliches Gutachten. Zeitansatz für Aktenstudium und Abfassung der Beurteilung

 

Orientierungssatz

1. Nach der Rechtsprechung des 6. Senats des LSG Erfurt ist bei berufskundlichen Gutachten für die Aktendurchsicht im Regelfall ca 1 Stunde für 100 Blatt Unterlagen erforderlich (vgl LSG Erfurt vom 5.3.2012 - L 6 SF 1854/11 B und vom 8.9.2009 - L 6 SF 49/08).

2. Der notwendige Zeitansatz für die Abfassung der Beurteilung wird bei der Liquidation medizinischer Gutachten angesichts der Vielzahl von Anträgen durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle pauschaliert berechnet, wogegen grundsätzlich keine Bedenken bestehen. Eine solche Pauschalierung ist auch bei berufskundlichen Gutachten möglich und sinnvoll.

3. Der Ansatz von 1 ½ Seiten pro Stunde (vgl LSG Erfurt vom 26.3.2012 - L 6 SF 132/12 E = MEDSACH 2013, 124) kann bei der richterlichen Festsetzung allerdings nur ein Anhaltspunkt für die angemessene Stundenzahl sein (vgl LSG Erfurt vom 15.3.2012 - L 6 SF 224/12 B und vom 13.3.2012 - L 6 SF 197/12 B; LSG Mainz vom 16.11.2011 - L 5 P 55/10). Maßgebend ist im Zweifelsfall der im Einzelfall erkennbare Arbeitsaufwand des Sachverständigen, der im Gutachten zum Ausdruck kommt.

 

Tenor

Die Vergütung des Erinnerungsführers für das Gutachten vom 17. Juli 2015 wird auf 2.104,59 Euro festgesetzt.

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

 

Gründe

I.

Im Berufungsverfahren L 12 R 1639/14 beauftragte die Berichterstatterin des 12. Senats mit Beweisanordnung vom 9. Juni 2015 den Erinnerungsführer als Sachverständiger für Berufskunde mit der Erstattung eines berufskundlichen Gutachtens nach § 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Gutachtenauftrag gab vor, dass der Kläger leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig verrichten könne; hinsichtlich der dabei zu beachtenden qualitativen Einschränkungen wurde auf die Gutachten der Dres. W., G.-L. und K. verwiesen. Der Erinnerungsführer sollte dazu Stellung nehmen, ob der Kläger noch in der Lage sei, in seinem erlernten Beruf als Koch zu arbeiten oder aber unter Beachtung seines beruflichen Wertegangs/Kenntnisse auf die Tätigkeiten eines Maschinenführers in der Lebensmittelindustrie, eines Leiters eines Lebensmittellagers, eines Qualitätsprüfers in der Lebensmittelindustrie, einer gehobenen Bürohilfskraft im Öffentlichen Dienst (BAT VIII/TVöD EG 3) oder eines Restaurantkassierers verwiesen werden könne. Übersandt wurden dem Erinnerungsführer insgesamt 674 Blatt Akten (467 Blatt Gerichtsakte, 207 Blatt Verwaltungsakte). Der Erinnerungsführer erstellte am 17. Juli 2015 ein 23 Seiten umfassendes Gutachten und übersandte es dem Gericht. In seiner Kostenrechnung vom 17. Juli 2015 begehrte der Erinnerungsführer eine Vergütung von 2.764,59 Euro (24,5 Stunden x 110 Euro ≪Honorargruppe 10≫, zzgl. Schreibauslagen und Porto). Mit Verfügung vom 6. August 2015 kürzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (UdG) den Zeitansatz auf 18,5 Stunden und wies insgesamt 2.104,59 Euro (einschließlich Porto und Schreibauslagen) an.

Am 11. August 2015 hat der Erinnerungsführer Antrag auf richterliches Festsetzung gestellt. Hinsichtlich des Abfassens der schriftlichen Beurteilung komme eine Kürzung von 12 Stunden auf 6 Stunden nicht in Betracht. Um die Beweisfragen sachgerecht und anforderungsgemäß beantworten zu können, sei eine umfassende Berufsbeschreibung zwingend erforderlich gewesen. Diese sei bei der Bestimmung des Umfangs der schriftlichen Beurteilung zu berücksichtigen.

Der UdG hat dem Antrag nicht abgeholfen (Verfügung vom 12. August 2015) und ihn dem Senat vorgelegt.

II.

Nach § 4 Abs. 1 S. 1 des Gesetz über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz - JVEG) erfolgt die Festsetzung der Vergütung durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse die gerichtliche Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen erachtet. Zuständig ist das Gericht, von dem der Berechtigte herangezogen worden ist (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG). Der Erinnerungsführer ist Berechtigte im Sinne dieser Vorschrift. Nach § 4 Abs. 7 JVEG entscheidet das Gericht über den Antrag durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter. Zuständig für die Entscheidung ist nach dem Geschäftsverteilungsplan des Thüringer Landessozialgerichts in Verbindung mit dem Geschäftsverteilungsplan des 1. Senats der Berichterstatter des 1. Senats.

Im Ergebnis besteht ein Vergütungsanspruch nur im tenorierten Umfang.

Bei der richterlichen Festsetzung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie der Beschwerdeführer aufgegriffen hat (vgl. u.a. Thüringer Landessozialgericht, Beschlüsse vom 1. Juni 2011 - Az.: L 6 SF 27...

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