Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Entschädigung eines Beteiligten. Übernachtungsgeld. Notwendigkeit einer auswärtigen Übernachtung. Zumutbarkeit einer Hin- oder Rückreise am selben Tag. Fahrtdauer. Sicherheitspuffer
Leitsatz (amtlich)
1. Die Notwendigkeit einer auswärtigen Übernachtung ist nach objektiven Kriterien zu ermitteln (vgl LSG München vom 4.11.2014 - L 15 SF 198/14 = AGS 2015, 75).
2. Eine objektive Notwendigkeit ist nur dann anzunehmen, wenn dem Betroffenen die Hin- oder Rückreise am selben Tag nicht zugemutet werden kann (vgl LSG Erfurt vom 5.4.2000 - L 6 B 2/00 SF = JurBüro 2000, 489). Dabei orientiert sich der Senat an den Vollzugsvorschriften zum Bundesreisekostengesetz.
3. Unter Berücksichtigung der Verpflichtung zur Kostenminimierung ist bei einer Fahrtdauer von 241 Minuten ein geltend gemachter Sicherheitspuffer von 105 Minuten überhöht und nicht akzeptabel.
Tenor
Die Entschädigung der Erinnerungsführerin anlässlich der Begutachtung am 21. Juli 2015 wird auf 340,20 Euro festgesetzt.
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.
Gründe
I.
Die 1981 geborene Erinnerungsführerin begehrte im Hauptsacheverfahren (L 1 U 311/13) Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung. Mit Beweisanordnung vom 17. Februar 2015 verfügte der Berichterstatter des 1. Senats des Thüringer Landessozialgerichts eine Begutachtung durch den beim Berufsgenossenschaftlichen Unfallkrankenhaus H. tätigen Dr. G. Dieser lud die Erinnerungsführerin zur Untersuchung am 21. Juli 2015 um 11:45 Uhr. In seiner Bescheinigung vom gleichen Tag bestätigte er eine Untersuchung von 11:30 bis 13:20 Uhr.
In ihrem „Antrag auf Erstattung von Fahrtkosten“ machte die Erinnerungsführerin einen Gesamtbetrag von 561,60 Euro geltend (Fahrtkosten 200,00 Euro für 800 Kilometer, Verdienstausfall für zwei Tage gemäß Bescheinigung des Arbeitgebers 252,00 Euro, Tagegeld 24,00 Euro, Übernachtungskosten 83,40 Euro, Parkgebühren 2,20 Euro). Unter dem 18. September 2015 führte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) aus, eine Begleitung könne nicht genehmigt werden. Auch sei nicht ersichtlich, weshalb eine Übernachtung erfolgt sei. Gehe man von einer Fahrtzeit von ca. 4,5 Stunden aus, sei ein Antritt der Reise im Sommer um 7:00 Uhr zumutbar. Damit seien keine Übernachtungskosten und ein Verdienstausfall nur für einen Tag zu gewähren. Es erfolge folgende Gesamtentschädigung:
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Fahrtkosten 800 km x 0,25 Euro |
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200,00 Euro |
Tagegeld 11 Stunden |
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12,00 Euro |
Verdienstausfall 9 Stunden x 14,00 Euro |
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126,00 Euro |
Parkgebühr |
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2,20 Euro |
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340,20 Euro |
Am 7. Oktober 2015 hat die Erinnerungsführerin „Widerspruch“ eingelegt und vorgetragen, sie habe sich unter folgenden Gesichtspunkten für eine „rechtzeitige Anreise mit vorheriger Übernachtung“ entschieden: falsche zeitliche Planung oder unvorhergesehene Komplikationen wie z.B. Stau, Panne, ungeübte Langstreckenfahrerin, Unkenntnis der Verkehrsverhältnisse, keine Kenntnis über Parkmöglichkeiten, Entfernung zur Anmeldung oder Dauer der Anmeldung, Belastung durch die Begutachtung. Im Vordergrund habe sie zusätzliche Kosten durch nicht rechtzeitiges Erscheinen vermeiden wollen. Bei einer Anreise am selben Tag habe sie mindestens zwei Stunden Sicherheitszuschlag für Staus, Unfälle etc. hinzurechnen müssen. Dann hätte sie die Fahrt vor 6:00 Uhr antreten müssen, was ihr nach einem Beschluss des OLG Karlsruhe (NJW-RR 2003, 488) nicht zumutbar sei. Im Übrigen sei nach einem Beschluss des OLG Dresden vom 1. April 1998 - 15 W 374/98, 15 W 0374/98 eine Übernachtung stets notwendig, wenn der Zeitaufwand für Hin- und Rückfahrt 10 Stunden übersteige.
Die Erinnerungsführerin beantragt sinngemäß,
die Entschädigung anlässlich der Untersuchung am 21. Juli 2015 auf insgesamt 561,60 Euro festzusetzen.
Der Erinnerungsgegner beantragt,
die Entschädigung anlässlich der Untersuchung am 21. Juli 2015 auf insgesamt 340,20 Euro festzusetzen.
Zur Begründung nimmt er auf die Ausführungen der UdG Bezug.
Die UdG hat der Erinnerung nicht abgeholfen (Verfügung vom 19. Oktober 2015) und sie dem Senat vorgelegt.
II.
Zuständig für die Entscheidung ist nach dem Geschäftsverteilungsplan des Thüringer Landessozialgerichts in Verbindung mit dem Geschäftsverteilungsplan des 6. Senats der Senatsvorsitzende des 6. Senats.
Auf die Erinnerung wird die Entschädigung auf 340,20 Euro festgesetzt.
Nach § 191 Halbs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) werden einem Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet worden ist, auf Antrag bare Auslagen und Zeitverlust wie einem Zeugen vergütet. Diese erhalten nach § 19 Abs. 1 Satz 1 des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG) als Entschädigung Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG), Entschädigung für sonstige Aufwendungen (§ 7 JVEG), Entschädigung für Zeitversäumnis (§ 20 JVEG), Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung (§ 21 JVEG) sowie Entschädigung für Verdienstausfall (§ 22 JVEG). Soweit die Entschädigung nach Stunden zu bemessen ist, wird s...