Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. grobe Rechtswidrigkeit eines gegen Unbeteiligte ergangenen Kostenfestsetzungsbeschlusses nach § 55 RVG. Kostenerstattung im Erinnerungsverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Ein gegen Unbeteiligte (hier: Klägerin und Beklagte) ergangener Kostenfestsetzungsbeschluss nach § 55 RVG ist grob rechtswidrig und damit nichtig und tatsächlich wirkungslos. In diesem Fall kommt eine Rubrumsberichtigung nicht in Betracht. Das Gericht muss den Beschluss aufheben und seinen Rechtsschein beseitigen.
2. Eine Kostenerstattung kommt nur den Fällen des § 197 Abs 2 SGG in Betracht, nicht wenn der Anwalt das Verfahren in eigenem Namen betreibt.
Normenkette
RVG §§ 55, 56 Abs. 2 S. 1, § 33 Abs. 3 S. 1; SGG § 197 Abs. 2
Tenor
Auf die Beschwerde werden der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 5. Januar 2015 und der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14. Mai 2012 aufgehoben und die Sache an das Sozialgericht zurückverwiesen.
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.
Gründe
I.
Streitig ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Verfahren vor dem Sozialgericht Gotha (S 40 AS 857/09).
Mit der Klage S 40 AS 857/09 hatte sich die von den Rechtsanwälten R. und H. vertretene selbständige Klägerin gegen die Ablehnung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. August 2008 bis 28. Februar 2009 gewandt. Mit einer weiteren Klage (S 26 AS 2473/10) wandte sie sich gegen die Ablehnung von Leistungen für die Zeit vom 1. November 2009 bis 31. Mai 2010. In beiden Fällen hatte die Beklagte, eine … SGB II, ihre Hilfebedürftigkeit mit der Begründung bestritten, sie habe Anspruch auf Rückübertragung eines Grundstücks nach § 528 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und Einkommen aus einer Erbschaft. Mit Beschluss vom 3. April 2009 bewilligte das Sozialgericht der Klägerin im Verfahren S 40 AS 857/09 Prozesskostenhilfe (PKH) und ordnete Rechtsanwalt H. bei. Unter dem 20. Oktober 2010 teilte die Beschwerdegegnerin, eine Rechtsanwältin, dem Sozialgericht mit, die Klägerin habe sie mit der Wahrnehmung der rechtlichen Interessen beauftragt; die Verbindung beider Verfahren werde beantragt.
In der 143 Minuten dauernden mündlichen Verhandlung am 10. November 2010 bewilligte die 40. Kammer des Sozialgerichts der Klägerin mit Beschluss für den Zeitraum 23. Februar 2009 bis 30. September 2010 PKH unter Beiordnung von Rechtsanwalt H. und ab 1. Oktober 2010 unter Beiordnung der Beschwerdegegnerin. Sie bewilligte der Klägerin dann für das Verfahren S 26 AS 2473/10 PKH ab 2. April 2010 unter Beiordnung der Beschwerdegegnerin. Anschließend verband sie beide Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter Führung des Verfahrens S 40 AS 857/09. Den in der Verhandlung geschlossenen Vergleich widerrief die Beklagte am 10. Dezember 2010. Nach weiterem Schriftverkehr vernahm das Sozialgericht in der 117 Minuten dauernden Verhandlung am 26. Januar 2011 u.a. einen Zeugen. Nach weiterem umfangreichen Schriftverkehr und Beiziehung weiterer Urkunden teilte die Beschwerdegegnerin dem Sozialgericht am 10. Oktober 2011 mit, sie vertrete die Klägerin nicht mehr. Nachdem sich im November 2011 Rechtsanwalt R. als Prozessbevollmächtigter bestellt hatte, änderte das Sozialgericht mit Beschluss vom 14. November 2011 den PKH-Beschluss vom 3. April 2009 in der Fassung des Änderungsbeschlusses vom 3. April 2010 dergestalt ab, dass für den Zeitraum 1. Oktober 2010 bis 10. Oktober 2011 die Beschwerdegegnerin und ab 11. Oktober 2011 Rechtsanwalt R. beigeordnet werde.
Unter dem 13. Dezember 2011 beantragte die Beschwerdegegnerin die Festsetzung folgender Gebühren:
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Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG |
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350,00 Euro |
Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG |
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380,00 Euro |
Pauschale für Post und Telekommunikation Nr. 7002 |
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20,00 Euro |
Fahrtkosten 10.11.2010 Nr. 7003 VV-RVG |
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19,20 Euro |
Tage- und Abwesenheitsgeld Nr. 7005 VV-RVG |
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20,00 Euro |
Fahrtkosten 26.01.201 Nr. 7003 VV-RVG |
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19,20 Euro |
Tage- und Abwesenheitsgeld |
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20,00 Euro |
Zwischensummer |
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828,40 Euro |
USt |
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157,40 Euro |
Summe |
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985,80 Euro |
Nach Anhörung der Beklagten setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 14. Mai 2012 in dem Rechtsstreit der Klägerin vertreten durch die Rechtsanwaltskanzlei S. und R. und die Rechtsanwältin R. gegen die Beklagte die “der Klägerin im Rahmen der Prozesskostenhilfe zustehende Vergütung„ auf 652,60 Euro fest und berücksichtigte die Verfahrens- und Terminsgebühr jeweils in Höhe der Mittelgebühr.
Dagegen hat die Beschwerdegegnerin Erinnerung eingelegt und vorgetragen, die Kürzung auf die Mittelgebühren sei angesichts ihres überdurchschnittlichen anwaltlichen Aufwands (u.a. Sichtung umfangreicher Unterlagen und mehrere Besprechungstermine mit der Klägerin) nicht nachvollziehbar. Unter dem 4. November 2014 hat der Vorsitzende der 26. Kammer des Sozialgerichts das Rubrum des Erinnerungsverfahrens “berichtigt„ und die Beschwerdegegnerin als Erinnerungsfü...