Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Zulässigkeit der Beschwerde. Aufhebungsverfahren gem § 73a SGG. pflichtgemäßes Ermessen im Überprüfungsverfahren. Anordnung einer einmaligen Zahlung in Höhe der gesamten Kosten des Rechtsstreits
Leitsatz (amtlich)
1. Der Ausschluss der Beschwerde nach § 172 Abs 3 Nr 2 SGG idF des Änderungsgesetzes vom 26.3.2008 (BGBl I 444) erstreckt sich nicht auf das Aufhebungsverfahren nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 124 ZPO ( so bereits Senat, Beschluss vom 19.4.2012 - L 4 AS 517/12 B, unveröffentlicht).
2. Wäre aufgrund einer wesentlichen Änderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse Prozesskostenhilfe selbst unter Ratenzahlung nicht mehr zu gewähren, darf nach pflichtgemäßem Ermessen im Überprüfungsverfahren nach § 73a Abs 1 S 1 SGG iVm § 120 Abs 4 ZPO unter den weiteren Voraussetzungen eine einmalige Zahlung in Höhe der gesamten Kosten des Rechtsstreits angeordnet werden (für Vermögen: BVerwG vom 12.6.2012 - 5 PKH 7/11 - mwN).
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 24. Januar 2012 abgeändert. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe nur gegen Zahlung von 358,90 Euro bewilligt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
Die am 1. April 2012 bei dem Thüringer Landessozialgericht eingelegte Beschwerde des damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufhebenden Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 24. Januar 2012, der Klägerin zugestellt am 25. Februar 2012, ihrem damaligen Prozessbevollmächtigten tatsächlich zugegangen am 19. März 2012, ist zulässig, insbesondere statthaft und fristgemäß eingelegt.
Die Beschwerdefrist nach § 173 SGG ist gewahrt, weil der damalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Beschlusses ihm gegenüber eingelegt hat und die vorherige Zustellung gegenüber der Klägerin gemäß § 73 Abs. 6 S. 5 SGG den Lauf der Frist nicht zu begründen vermag (vgl. BSG, Beschluss vom 16. Dezember 2009 - B 6 KA 37/09, juris). Auch für die Überprüfung der Prozesskostenhilfe nach § 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 120 Abs. 4 ZPO bleibt die Bevollmächtigung in dem zugrundeliegenden Hauptsacheverfahren wirksam, wenn der Prozessbevollmächtigte den Beteiligten bereits bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe vertreten hat (LSG NRW, Beschluss vom 25. Mai 2012 - L 7 AS 752/12 B m.w.N.; BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2010 - XII ZB 151/10; beide juris).
Ebenso ist die Beschwerde gemäß § 172 Abs. 1 SGG statthaft. Insbesondere ist sie nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl I 2008, 444) - F.2008 - ausgeschlossen. Der Senat hält an seiner Rechtsauffassung (Beschluss vom 19. April 2012 - L 4 AS 517/12 B, unveröffentlicht) trotz nachfolgend abweichender Rechtsprechung fest, die im Wege einer zweckorientierten Auslegung des § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG F.2008 den Beschwerdeausschluss gegen den Wortlaut der Norm auf Aufhebungsentscheidungen nach § 124 Nr. 2 ZPO ausdehnt (so: Thüringer LSG, Beschluss vom 6. Juli 2012 - L 9 AS 896/12 B; juris unter Bezugnahme auf das Sächsische LSG, Beschluss vom 31. August 2011 - L 7 AS 553/111 B PKH, juris).
Sind grundsätzlich bei der Auslegung von Rechtsnormen alle Auslegungsmethoden gleichwertig heranzuziehen, d.h. ist nicht zwingend dem Wortlaut einer Norm im Zweifel der Vorrang einzuräumen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 6. April 2000 - 1 BvL 18/99 u.a. m.w.N., juris), gebietet bereits die verfassungsrechtlich verbürgte Rechtsmittelklarheit ausnahmsweise eine vorrangig an dem eindeutigen Wortlaut orientierte Auslegung, wenn Rechtsnormen betroffen sind, welche die Reichweite gerichtlicher Rechtsbehelfe regeln (vgl. LSG Berlin-Brandenburg vom 18. Oktober 2012 - L 33 R 751/12 B PKH, juris unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 29. Januar 1998 - B 12 KR 18/97 R, juris).
Steht danach bereits der Wortlaut des § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG F.2008, der allein auf Entscheidungen über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe, genauer deren Ablehnung, abstellt, einer Auslegung entgegen, nach welcher der Beschwerdeausschluss auf das gegenüber dem Bewilligungsverfahren nach § 118 ZPO gesondert geregelte Aufhebungsverfahren nach § 124 ZPO zu erstrecken sein soll, sprechen dafür auch systematische Gründe, nach denen Ausnahmeregelungen im Zweifel eng auszulegen sind.
Eine zweckorientierte Auslegung könnte einen weitergehenden Beschwerdeausschluss daher nur begründen, wenn der erkennbare Gesetzeszweck es nahelegt, dass der Gesetzgeber den Beschwerdeausschluss stets greifen lassen will, wenn die gerichtliche Entscheidung über die Prozesskostenhilfe allein von den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen der Antragsteller, d.h. deren Bedürftigkeit, oder deren fehlendem Nachweis abhängt.
Eine so weitreichende Zwecksetzung ist den Gesetzesmaterialien jedoch nicht zu entnehmen. Das Änderungsgesetz vom 26. März 2008 sollte wesentlich dazu beitragen, durch eine Straffun...