Entscheidungsstichwort (Thema)
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Umgangsrecht eines Elternteils mit seinen Kindern als von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geschütztes Recht. Erstattung von Kosten für die Wahrnehmung des Umgangsrechts mit entfernt wohnenden Kindern. Übernahme der Kosten analog § 23 Abs. 1 SGB II. Planwidrige Regelungslücke. Umstände des Einzelfalls
Leitsatz (redaktionell)
1. Kosten für das Umgangsrecht in Form von Fahrtkosten, die ein Elternteil zur Ermöglichung des Umgangs mit den nicht im eigenen Haushalt lebenden Kindern benötigt, sind als Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu werten; eine Erstattung nach dem SGB XII kommt bei grundsätzlicher Anwendbarkeit des SGB II nicht in Betracht.
2. Die Kosten des Umgangsrechts werden nicht von den Regelleistungen des § 20 Abs. 1 SGB II erfasst. Ein Anspruch auf Übernahme der Fahrtkosten als Umgangskosten kann sich aber aus § 23 Abs. 1 SGB II analog ergeben. Es besteht insoweit eine planwidrige Regelungslücke, da ein von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG anerkannter Bedarf zum Lebensunterhalt anderenfalls nicht erfasst würde.
3. Ob Kosten des Umgangsrechts im Sinne des § 23 Abs. 1 GSB II analog unabweisbarer Bedarf sind, ist aus einer individualisierenden Betrachtung aller das Eltern-Kind-Verhältnis bestimmender Umstände des Einzelfalls zu ermitteln.
Normenkette
SGB II § 20 Abs. 1, § 23 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
SG Gotha (Beschluss vom 02.03.2005; Aktenzeichen S 32 AS 178/05 ER) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird derBeschluss des Sozialgerichts Gotha vom2. März 2005 abgeändert. Die Antragsgegnerin wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin auf der Grundlage der am 15. November 2004 beim Oberlandesgericht Jena getroffenen Umgangsregelung die Kosten für die Wahrnehmung ihres Umgangsrechts für ihre Kinder J., K. und M. H. für die Monate Juli und September 2005 vorläufig und darlehensweise in der von der Antragstellerin nachgewiesenen Höhe zur Verfügung zu stellen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege einer einstweiligen Anordnung die Erstattung der Kosten für die Wahrnehmung ihres Umgangsrechts mit ihren Kindern J., K. und M. ab Januar 2005.
Die im Oktober 1976 geborene Antragstellerin lebt mit ihrem Lebensgefährten M. P. (nachfolgend Lebensgefährte) und der gemeinsamen Tochter G. M. seit 2004 in einer eheähnlichen Gemeinschaft.
Am 29. September 2004 beantragte der Lebensgefährte für sich, die Antragstellerin und die Tochter als Bedarfsgemeinschaft Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom November 2004 wurde der Bedarfsgemeinschaft ein Gesamtanspruch in Höhe von 976,37 Euro monatlich bewilligt.
Unter dem 13. Dezember 2004 beantragte die Antragstellerin die Übernahme der Kosten für die Wahrnehmung ihres Umgangsrechts mit ihren leiblichen Kindern J., K. und M. H.. Die Kinder leben seit der Scheidung bei dem Kindesvater in H. bei Q. Die Antragstellerin trug sinngemäß vor, dass ihr zur Wahrnehmung eines vereinbarten Umgangsrechts Kosten in Höhe von insgesamt etwa 348,50 Euro in dem Monat entstünden, in dem sie die Kinder abholen müsse. Dem Antrag fügte die Antragstellerin einen Beschluss des OLG Jena vom 30. November 2004 sowie das Protokoll einer nichtöffentlichen Sitzung vom 15. November 2004 bei, aus dem sich im Wesentlichen folgende vereinbarte Umgangsregelung ergibt: Die Antragstellerin ist berechtigt, mit ihren drei Kindern K., M. und J… jedes dritte Wochenende im Monat Umgang zu pflegen. Die Antragstellerin verpflichtet sich sinngemäß, beginnend im Januar 2005 und weiter jeden zweiten Monat, die Kinder freitags an ihrem Wohnort in Q. abzuholen und sonntags zurück zu bringen. Für die Wochenenden in den Zwischenmonaten verpflichtete sich der geschiedene Ehemann der Antragstellerin, die Kinder zum Wohnort der Antragstellerin zu bringen und zu übergeben sowie sie wieder abzuholen. Ferner legte die Antragstellerin ein Schreiben des Landratsamtes Gotha vom 4. November 2004 vor, wonach die Fahrtkosten einmal für jeden zweiten Monat zuzüglich 20,00 Euro für „eine Person zur Übernachtung” übernommen würden.
Mit Bescheid vom 6. Januar 2005 lehnte die Antragsgegnerin die Übernahme der Kosten ab. Die Entscheidung beruhe auf § 23 SGB II. Hiergegen legte die Klägerin am 12. Januar 2005 Widerspruch ein.
Am 19. Januar 2005 beantragte sie beim Sozialgericht Gotha sinngemäß, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin die zur Wahrnehmung der Umgangskontakte mit ihren Kindern entstehenden Kosten zur Verfügung zu stellen und verwies in diesem Zusammenhang auch auf die Zusage des Landratsamtes Gotha vom 4. November 2004.
Mit Beschluss vom 20. Januar 2005 hat das Sozialgericht das Landratsamt Gotha als zuständigen Sozialhilfeträger beige...