Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsanwaltsvergütung. Verfahrensgebühr. Würdigung des Arbeits- und Zeitaufwands vor Wirksamwerden der Beiordnung im Wege der Prozesskostenhilfe. Bestimmung von Umfang der anwaltlichen Tätigkeit und Bedeutung der Angelegenheit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Grundsätzlich ist bei Rahmengebühren auch der vor dem Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Beiordnung erbrachte Arbeits- und Zeitaufwand des Rechtsanwalts im Verfahren in die Beurteilung einzubeziehen (Anschluss an LSG München vom 22.7.2010 - L 15 SF 303/09 B E = RVGreport 2010, 476; LSG Essen vom 24.9.2008 - L 19 B 21/08 AS = RVGreport 2008, 456; aA LSG Schleswig vom 17.7.2008 - L 1 B 127/08 SK = NZS 2009, 534).

2. Fertigt der Rechtsanwalt im Verfahren lediglich zwei Schriftsätze, ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im Vergleich zu anderen Verfahren unterdurchschnittlich.

3. Für die Bestimmung der Bedeutung der Angelegenheit kommt es vor allem auf die Höhe des geltend gemachten Anspruchs an. Wird er im Hauptverfahren nicht beziffert, kann eine durchschnittliche Bedeutung nicht unterstellt werden.

 

Tenor

Auf die Beschwerde wird der Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 14. Mai 2010, abgeändert mit Beschluss vom 4. Oktober 2010, aufgehoben und die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren auf 250,27 Euro festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.

 

Gründe

I.

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Verfahren vor dem Sozialgericht Nordhausen streitig (Az.: S 18 AS 2840/08).

Mit Bescheid vom 7. März 2008 gewährte die beklagte ARGE Grundsicherung U.-H.-K. den Klägerinnen zu 1. und 2. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 401,00 Euro und Kosten der Unterkunft in Höhe von 161,21 Euro. Im Widerspruchsverfahren begehrten die von dem Beschwerdeführer vertretenen Klägerinnen, den Lebensgefährten der Klägerin zu 1. (Kläger zu 3.) in die Bedarfsgemeinschaft einzubeziehen. Die Beklagte erließ einen Änderungsbescheid vom 29. August 2008 und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2008 zurück. Mit der am 11. September 2008 erhobenen Klage machten die Kläger geltend, der Änderungsbescheid sei ihnen nicht zugegangen. Der Kläger zu 3. sei in die Bedarfsgemeinschaft einzubeziehen und dieser insgesamt "höhere" Kosten der Unterkunft und allen "höhere Leistungen (KdU, Rundungsregelung)" zu bewilligen. Nachdem die Beklagte mitgeteilt hatte, dass der Änderungsbescheid an einen anderen ebenfalls bevollmächtigten Rechtsanwalt geschickt worden sei, begrenzte der Beschwerdeführer unter dem 21. November 2008 das klägerische Begehren auf die Kosten der Unterkunft (KdU). Mit Beschluss vom 20. Februar 2009 gewährte das Sozialgericht den Klägern Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung und ordnete den Beschwerdeführer bei. Das Sozialgericht verhandelte in seiner 48 Minuten dauernden Sitzung am 23. Februar 2009 (Unterbrechung 18 Minuten) und änderte mit seinem Urteil vom gleichen Tag die Kostenentscheidung des Widerspruchsbescheids insoweit ab, als die Beklagte die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung zu tragen habe und die Hinzuziehung des Bevollmächtigten notwendig sei. Im Übrigen wies es die Klage ab. Die Beklagte habe die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu ¼ zu erstatten.

In seiner Kostenrechnung vom 5. Mai 2009 machte der Beschwerdeführer aus der Staatskasse für das Verfahren einen Betrag 450,61 Euro geltend, der sich wie folgt errechnet:

Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV RVG

170,00 Euro

Gebührenerhöhung Nr. 1008 VV RVG

102,00 Euro

Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG

200,00 Euro

Fahrtkosten und Abwesenheitsgeld

 12,88 Euro

Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG

 20,00 Euro

Zwischensumme

504,88 Euro

Mehrwertsteuer

 95,93 Euro

Gesamtbetrag

600,81 Euro

davon ¾

450,61 Euro

Unter dem 17. Juni 2009 wies die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) die Zahlung von 88,16 Euro an und führte aus, hinsichtlich der Verfahrensgebühr Nr. 3103, 1008 VV RVG sei eine um 40 v.H. reduzierte Mittelgebühr (163,20 Euro) angemessen. Die Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger sei gerade noch durchschnittlich, Umfang und Schwierigkeit der Tätigkeit weit unterdurchschnittlich und die Einkommensverhältnisse unterdurchschnittlich gewesen. Die beantragte Terminsgebühr sei angemessen; berücksichtigt wurden in der Berechnung 102,00 Euro. Fahrtkosten, Tage- und Abwesenheitsgeld seien anteilig (1/6) zu erstatten, denn am 23. Februar 2009 habe der Beschwerdeführer an sechs Verfahren teilgenommen.

Seine Erinnerung hat der Beschwerdeführer auf die Höhe der Verfahrens- und Terminsgebühr beschränkt und damit begründet, dass der Umfang seiner anwaltlichen Arbeit nicht unterdurchschnittlich gewesen sei; es habe sich beim SGB II um eine sehr komplexe und komplizierte Rechtsmaterie gehandelt. Die Kürzung der Terminsgebühr sei nicht angebracht, weil die volle Te...

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