Entscheidungsstichwort (Thema)
Anreiz zur Vermeidung einer mündlichen Verhandlung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein schriftlicher Vergleich iS der Nr 3106 Nr 1 VV RVG (juris: RVG-VV) setzt den Abschluss eines Vergleichs im gerichtlichen Verfahren nach den Vorschriften des SGG voraus, der den Rechtsstreit prozessual beendet.
2. Unter einem schriftlichen Vergleich iS der Nr 3106 Nr 1 VV RVG wird nicht nur ein nach § 101 Abs 1 S 2 SGG geschlossener Vergleich verstanden (entgegen LSG München vom 29.11.2016 - L 15 SF 97/16 E = DAR 2017, 117).
3. Im Kostenfestsetzungsverfahren ist grundsätzlich die Verfahrensgestaltung durch das Prozessgericht zugrunde zu legen (vgl LSG Erfurt vom 18.10.2018 - L 1 SF 1302/17 B und vom 22.1.2019 - L 1 SF 1300/17 B).
4. Die fiktive Terminsgebühr nach Nr 3106 Nr 1 Alt 2 VV RVG fällt nicht bei einem schriftlichen außergerichtlichen Vergleich an (entgegen LSG Neubrandenburg vom 14.3.2018 - L 13 SB 1/17 B = AGS 2018, 172).
Orientierungssatz
An die Entscheidung des Prozessgerichts, Prozesskostenhilfe für zwei getrennte Verfahren zu gewähren und nicht wegen mutwilliger Aufspaltung des Verfahrens zu versagen, besteht im Festsetzungsverfahren keine Bindung, weil § 15 Abs 2 RVG ausdrücklich bestimmt, dass der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern kann. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für beide Verfahren schließt den Einwand der unnötigen Kostenverursachung und dessen Berücksichtigung im Festsetzungsverfahren nach § 55 RVG nicht aus (vgl LSG Erfurt vom 18.10.2018 - L 1 SF 1302/17 B).
Normenkette
RVG § 15 Abs. 2 S. 1, § 55; VV RVG Nr. 3106 S. 1 Nr. 1; SGG § 101 Abs. 1 S. 2, § 202; ZPO § 278 Abs. 6
Tenor
Die Beschlüsse des Sozialgerichts Gotha vom 19. Februar 2018 werden wie folgt neu gefasst:
Auf die Erinnerungen werden die Vergütungsfestsetzungsbeschlüsse vom 29. September und 8. Juni 2016 abgeändert. Die in den Verfahren S 28 AS 3804/15 und S 28 AS 3805/15 aus der Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen werden auf einheitlich 648,55 Euro festgesetzt.
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsvergütung für zwei beim Sozialgericht Gotha anhängig gewesene Verfahren der von dem Beschwerdeführer vertretenen Kläger.
Durch Bescheid vom 10. März 2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 3. September 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. September 2015 bewilligte das Jobcenter im Landkreis G. den Klägern Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 1. bis 31. März 2015 in Höhe von insgesamt 914,69 Euro. Mit ihrer dagegen gerichteten Klage vom 28. September 2015 machten die Kläger einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II geltend.
Durch weiteren Änderungsbescheid vom 10. März 2015 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 4. Juni 2015 bewilligte das Jobcenter im Landkreis G. Leistungen nach dem SGB II für den Monat Dezember 2014 in Höhe von 758,17 Euro, für Januar 2015 in Höhe von 906,27 Euro und für Februar 2015 in Höhe von 709,93 Euro. Durch Widerspruchsbescheid vom 4. September 2015 wies das Jobcenter Landkreis G. nach Erlass der Änderungsbescheide vom 4. Juni 2015 und 3. September 2015 einen Widerspruch der Kläger für die Zeiträume vom 1. November 2014 bis 31. März 2015 zurück. Mit ihren Klagen vom 28. September 2015 begehren die Kläger für die Zeit vom 1. November 2014 bis 28. Februar 2015 höhere Leistungen wegen eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 7 SGB II.
Mit Beschlüssen vom 7. März 2016 bewilligte das Sozialgericht den Klägern jeweils Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung des Beschwerdeführers. Mit Beschlüssen vom 12. Mai 2016 stellte das Sozialgericht jeweils das Zustandekommen eines Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO fest. Danach verpflichtete sich die Beklagte im Verfahren S 28 AS 3804/15, den Klägern für den Zeitraum 1. - 31. März 2015 einen Betrag von insgesamt 3,98 Euro zu zahlen und erkannte im Verfahren S 28 AS 3805/15 für den Monat Dezember 2014 einen weiteren Leistungsanspruch wegen Heizkosten in Höhe von 2,67 Euro und für den Monat Februar 2015 einen weiteren Anspruch in Höhe von 10,35 Euro an.
Mit seiner Abrechnung vom 26. Mai 2016 beantragte der Beschwerdeführer in beiden Verfahren jeweils die Festsetzung folgender Gebühren:
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Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3102 VV RVG, §§ 45, 49 RVG 300,00 EUR |
Erhöhungsgebühr 2 weitere Auftraggeber der Bedarfsgemein- schaft gemäß § 38 SGB II, § 14 Nr. 1008 VV RVG 180,00 EUR |
Anrechnung Geschäftsgebühr gemäß Vorb. 3 (4) VV RVG - 175,00 EUR |
Terminsgebühr gemäß Nr. 3106 (3) VV RVG, §§ 45, 49 RVG 280,00 EUR |
Einigungsgebühr gemäß Nr. 1006 VV RVG, §§ 45, 49 RVG 200,00 EUR |
Post- und Telekommunikationsentgelt Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR |
Zwischensumme 805,00 EUR |
19 % Umsatzsteuer gemäß Nr 7008 VV RVG 152,95 EUR |
Gesamtbetrag 957,95 EUR. |
Mit Vergütungsfestsetzungsbeschlüssen vom 8. Juni und 29. September 2016 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftss...