Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Entschädigung eines Beteiligten bei Anordnung des persönlichen Erscheinens. Verdienstausfall eines selbstständig Tätigen. Anforderungen an die Beweisführung. Bemessung der Entschädigung. Abstellen auf regelmäßigen Bruttostundenverdienst. Rückgriff auf Einkommensteuerbescheid

 

Leitsatz (amtlich)

1. Um den Entschädigungsanspruch für Verdienstausfall bei einem selbständig Tätigen nicht ins Leere laufen zu lassen, darf das Gericht an die Beweisführung eines selbständig tätigen Antragstellers keine zu hohen Anforderungen stellen.

2. Für die Bemessung einer Entschädigung für die Teilnahme an einem gerichtlichen Termin vor dem Sozialgericht kommt es auch bei einem Selbständigen auf den regelmäßigen Bruttostundenverdienst an. Sofern andere Nachweise über konkret durch die Wahrnehmung des Termins versäumte termingebundene Aufträge fehlen, kann auf die Angaben aus dem zuletzt verfügbaren Einkommensteuerbescheid zurückgegriffen werden. Das dort festgestellte Einkommen in einem bestimmten Jahr ist in der Regel geeignet, die Verdienstverhältnisse des herangezogenen Beteiligten oder Zeugen zutreffend widerzuspiegeln.

 

Tenor

Die Entschädigung des Erinnerungsführers für die Teilnahme am Erörterungstermin am 19. August 2019 wird auf 97,15 € festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Erinnerungsführer war Berufungskläger im Verfahren L 1 U 588/19. Mit Ladung vom 22. Juli 2019 wurde er durch den Berichterstatter des Verfahrens unter Anordnung des persönlichen Erscheinens zu einem Erörterungstermin am 19. August 2019 um 10:00 Uhr geladen. Der Erörterungstermin dauerte ausweislich der Niederschrift von 10:08 Uhr bis 10:27 Uhr.

Mit beim Landessozialgericht am 17. September 2019 eingegangenem Entschädigungsantrag beantragte der Erinnerungsführer eine Entschädigung in Höhe von 399,24 € für das Erscheinen bei dem Erörterungstermin (Fahrtkosten unter Beifügung der entsprechenden Zugtickets in Höhe von 40,00 € und einen Verdienstausfall ausgehend von einer Ausfallzeit von 8,75 Stunden, einem Stundensatz von 34,50 € zuzüglich Mehrwertsteuer in Höhe von insgesamt 359,24 €).

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle bewilligte nach Vorlage des Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2017 eine Entschädigung in Höhe von 97,15 €. Verdienstausfall könne nur in Höhe von 57,15 € bewilligt werden. Ausweislich des Steuerbescheides betrügen die monatlichen Einkünfte 1.016,25 €. Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden ergebe sich ein Stundenlohn in Höhe von 6,35 €. Hinzu kämen die nachgewiesenen Fahrtkosten in Höhe von 40,00 €. Hiergegen hat der Erinnerungsführer am 14. Januar 2020 Erinnerung eingelegt. Mit dem entschädigten Einnahmeausfall in Höhe von 57,15 € könnten die täglich anfallenden Kosten in einem Handwerksbetrieb wie Krankenversicherung, Altersvorsorge usw. nicht gedeckt werden.

Der Erinnerungsführer beantragt,

die Entschädigung für seine Teilnahme am Erörterungstermin am 19. August 2019 auf 399,24 € festzusetzen.

Die Erinnerungsgegnerin beantragt,

die Entschädigung auf 97,15 € festzusetzen.

Auf Grund fehlender Anhaltspunkte für den Stundenlohn müsse vom Einkommenssteuerbescheid ausgegangen werden. Laut Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2017 betrügen die Einkünfte aus dem Gewerbebetrieb monatlich 1.016,25 € brutto. Dies ergebe bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden einen Bruttolohn von 6,35 € pro Stunde. Bei einer Zeitversäumnis von 9 Stunden gerundet betrage der Verdienstausfall daher 57,15 € zuzüglich der nicht zu beanstandenden Fahrtkosten in Höhe von 40,00 €.

Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

II.

Auf die Erinnerung hin war die Entschädigung auf 97,15 Euro festzusetzen.

Nach § 4 Abs. 1 JVEG erfolgt die Festsetzung der Vergütung, der Entschädigung oder des Vorschusses durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse die gerichtliche Feststellung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält (Satz 1).

Nach § 191 Halbs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) werden einem Beteiligten, dessen persönliches Erscheinen angeordnet worden ist, auf Antrag bare Auslagen und Zeitverlust wie einem Zeugen vergütet. Zeugen erhalten nach § 19 Abs. 1 S. 1 JVEG als Entschädigung Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG), Entschädigung für sonstige Aufwendungen (§ 8 JVEG), Entschädigung für Zeitversäumnis (§ 20 JVEG), Entschädigung für Nachteile bei der Haushaltsführung (§ 21 JVEG) sowie Entschädigung für Verdienstausfall (§ 22 JVEG). Soweit die Entschädigung nach Stunden zu bemessen ist, wird sie nach § 19 Abs. 2 JVEG für die gesamte Zeit der Heranziehung einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten, jedoch nicht mehr als zehn Stunden je Tag gewährt (Satz 1); die letzte bereits begonnene Stunde wird voll gerechnet (Satz 2).

Bei der Entscheidung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie angegriffen worden sind. Bei der Festsetzung ist das Gericht wed...

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