Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Entschädigung eines medizinischen Sachverständigen. Zeitansatz für gedankliche Erarbeitung der Beurteilung
Leitsatz (amtlich)
1. Ein medizinischer Sachverständiger mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung benötigt für die gedankliche Erarbeitung der Beurteilung durchschnittlich eine Stunde für ca 1 ½ Blatt. Zu berücksichtigen ist die Schreibweise; eine Einschränkung auf bestimmte "Normseiten" kommt mangels gesetzlicher Grundlage aber nicht in Betracht (vgl LSG Erfurt Beschluss vom 21.12.2006 - L 6 B 22/06 SF = MEDSACH 2007, 180).
2. Maßgebend ist im Zweifelsfall der im Einzelfall erkennbare Arbeitsaufwand des Sachverständigen, der im Gutachten zum Ausdruck kommt. Insofern ist in begründeten Sonderfällen durchaus eine Abweichung (positiv wie negativ) des Ansatzes erforderlich.
Tenor
Die Vergütung für das Gutachten des Erinnerungsführers vom 20. Dezember 2011 wird auf 2.072,65 Euro festgesetzt.
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.
Gründe
I.
In dem Berufungsverfahren M. T. ./. Unfallkasse des Bundes (Az.: L 1 U 156/11) beauftragte die Berichterstatterin des 1. Senats des Thüringer Landessozialgerichts mit Beweisanordnung vom 12. Oktober 2011 den Erinnerungsführer, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Übersandt wurden ihm die Gerichtsakte (42 Blatt), Verwaltungsakte (127 Blatt) und weitere medizinische Unterlagen (34 Blatt). Auf Ersuchen des Erinnerungsführers zog der 1. Senat zusätzlich einen Befundbericht der behandelnden Psychotherapeutin vom 25. November 2011 mit weiteren medizinischen Unterlagen bei. Unter dem 20. Dezember 2011 fertigte der Erinnerungsführer sein Gutachten aufgrund einer ambulanten Untersuchung am 5. Dezember 2011 auf insgesamt 59 Blatt. In seiner Kostenrechnung vom gleichen Tag machte er insgesamt 2.327,65 Euro geltend (26 Stunden Zeitaufwand x 85,00 Euro, Schreibauslagen 110,20 Euro, Porto 7,45 Euro). Bezüglich der Einzelheiten wird auf Blatt 3 des Kostenhefts verwiesen. Mit Verfügung vom 5. Januar 2012 kürzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) die Vergütung auf 1.775,15 Euro. Sie berücksichtigte bei ihrer Berechnung einen notwendigen Zeitaufwand von 19,4 Stunden, aufgerundet 19,5 Stunden (Aktenstudium 2,8 Stunden, Vorgeschichte/Untersuchungen 8 Stunden, Beurteilung 2,6 Stunden ≪8 Blatt≫, Diktat und Korrektur 6 Stunden) und einen Stundensatz von 85,00 Euro (M3).
Am 13. Januar 2012 hat sich der Erinnerungsführer gegen die Festsetzung gewandt und vorgetragen, er akzeptiere zwar die Kürzung des Zeitansatzes für das Aktenstudium auf 2,8 Stunden, nicht jedoch für die Beurteilung auf 2,6 Stunden. Sie sei nicht nur in der Zusammenfassung und Beurteilung enthalten sondern auch in weiteren Teilen des Gutachtens.
Der Erinnerungsführer beantragt sinngemäß,
die Vergütung für das Gutachten vom 5. Dezember 2011 auf 2.072,65 Euro festzusetzen.
Der Erinnerungsgegner hat keinen Antrag gestellt und sich nicht zur Sache geäußert.
Die UKB hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 16. Januar 2012) und sie dem erkennenden Senat vorgelegt. Der Senatsvorsitzende hat das Verfahren am 23. März 2012 dem Senat nach § 4 Abs. 7 S. 2 des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG) wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen.
II.
Nach § 4 Abs. 1 S. 1 JVEG erfolgt die Festsetzung der Vergütung durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse die gerichtliche Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen erachtet. Zuständig ist das Gericht, von dem der Berechtigte herangezogen worden ist (§ 4 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG). Der Erinnerungsführer ist Berechtigter im Sinne dieser Vorschrift.
Bei der Erinnerung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie angegriffen werden (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse vom 1. Dezember 2011 - Az.: L 6 SF 1617/11 E, 8. September 2009 - Az.: L 6 SF 49/08, 4. April 2005 - Az.: L 6 SF 83/05 in MedSach 2005, 137 ff., Bayerischer Verwaltungsgerichtshof ≪VGH≫, Beschluss vom 10. Oktober 2005 - Az.: 1 B 97.1352, nach juris). Es kommt nicht darauf an, dass sich der Erinnerungsführer nur gegen die Kürzung seines Zeitansatzes für die Beurteilung wendet. Bei der Festsetzung ist der Senat weder an die Höhe der Einzelansätze noch an den Stundenansatz oder die Gesamthöhe der Vergütung in der Festsetzung durch die UKB oder den Antrag der Beteiligten gebunden; er kann aber nicht mehr festsetzen als beantragt. Die Erinnerung ist kein Rechtsbehelf; insofern gilt das Verschlechterungsverbot (sog. "reformatio in peius") bei der erstmaligen richterlichen Festsetzung nicht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. September 2009 - Az.: L 6 SF 49/08, 13. April 2005 - Az.: L 6 SF 2/05, 16. September 2002 - Az.: L 6 B 51/01 SF; Meyer/Höver/Bach, Die Vergütung und Entschädigung von Sachverständigen, Zeugen, Dritten u...