Entscheidungsstichwort (Thema)
Anfall und Höhe der in einem sozialgerichtlichen Verfahren entstehenden Rechtsanwaltsgebühren
Orientierungssatz
1. Bei einem durchschnittlichen Umfang der anwaltlichen Tätigkeit, überdurchschnittlicher Schwierigkeit und überdurchschnittlicher Bedeutung des Rechtstreits für den Kläger ist die Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV RVG in Höhe der Mittelgebühr von 300.- €. festzusetzen.
2. Eine nach Nr. 2302 VV RVG entstandene Geschäftsgebühr ist nach Vorbemerkung Abs. 4 S. 1 VV RVG auf die Rechtsanwaltsgebühren für ein anschließendes gerichtliches oder behördliches Verfahren zur Hälfte anzurechnen.
3. Die Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG entsteht nicht für die Wahrnehmung eines Termins nur zur Verkündung einer Entscheidung.
4. Eine Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG entsteht u. a. auch, wenn das Verfahren nach angenommenem Anerkenntnis ohne mündliche Verhandlung nach § 101 Abs. 2 SGG endet. Dabei muss es sich um ein im Wege einseitiger Erklärung gegebenes uneingeschränktes Zugeständnis handeln. Ein angenommenes Teilanerkenntnis genügt nicht.
5. Durch die Annahme eines Teilanerkenntnisses und die Erledigungserklärung steht dem Rechtsanwalt eine Erledigungsgebühr nach Nummern 1006, 1005 VV RVG in Höhe der Verfahrensgebühr zu.
Tenor
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 29. August 2016 (S 24 SF 1242/16 E) geändert und die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung der Beschwerdegegnerin für das Verfahren S 24 AS 588/15 auf 618,80 € festgesetzt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwalts-vergütung für ein Verfahren beim Sozialgericht Gotha (SG), in dem die Beschwerdegegnerin die Klägerin vertrat (S 24 AS 588/15).
Mit der am 12. Februar 2015 erhobenen Klage begehrte die Klägerin die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 10. November 2014 (Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB II≫ für den Zeitraum vom 1. Dezember 2014 bis 30. November 2015) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2015 und die Gewährung höherer Leistungen nach dem SGB II. Die Kosten der Unterkunft und Heizung beliefen sich auf 441,00 €; der Beklagte habe 309,83 € für Dezember 2014 (225,45 € für Januar bis November 2015) bewilligt. Die Kürzung der anerkannten Kosten der Unterkunft und Heizung sei rechtswidrig. Zur Begründung verwies die Beschwerdegegnerin auf die Rechtsprechung des BSG. Der Umfang der von dem Beklagten erhobenen Daten sei nicht dazu geeignet, die Mietverhältnisse im Landkreis G. zuverlässig abzubilden. Mit Schriftsatz vom 10. Juli 2015 erklärte sich der Beklagte bereit, für Dezember 2014 weitere Leistungen in Höhe von 7,75 € und für Januar 2015 in Höhe von 5,40 € für die Klägerin zu bewilligen. Mit Schriftsatz vom 3. August 2015 erklärte die Beschwerdegegnerin Bereitschaft das Teilanerkenntnis im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) anzunehmen. Mit Beschluss vom 1. September 2015 bewilligte das SG der Klägerin PKH ohne Kostenbeteiligung unter Beiordnung der Beschwerdegegnerin. Mit Schriftsatz vom 29. Oktober 2015 nahm die Beschwerdegegnerin das Teilanerkenntnis der Beklagten an und erklärte den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Laut Beschluss vom 11. Februar 2016 haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
Am 11. März 2016 beantragte die Beschwerdegegnerin die Festsetzung folgender Vergütung:
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Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG |
300,00 € |
Anrechnung nach Vorb. 3 Abs. 4 VV RVG |
-100,00 € |
Terminsgebühr Nr. 3106 VV RVG |
200,00 € |
Erledigungsgebühr Nr. 1006 VV RVG |
250,00 € |
Post- und Telekommunikationsentgelt Nr. 7008 VV RVG |
20,00 € |
Zwischensumme |
670,00 € |
Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG |
127,30 € |
Gesamtbetrag |
797,30 € |
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) setzte mit Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 15. März 2016 die zu zahlende Vergütung auf 249,90 € (Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV RVG: 100,00 €, Absetzung -100,00 €, Erledigungsgebühr Nr. 1006 VV-RVG 100,00 €, Terminsgebühr Nr. 3106 90,00 €, Auslagen/Pauschale Nr. 7002 VV-RVG 20,00 Euro, Umsatzsteuer Nr. 7008 VV-RVG 39,90 €) fest. Die Verfahrensgebühr sei in Höhe von 1/3 der Mittelgebühr (=100,00 €) angemessen; hierauf sei die hälftige Gebühr nach Nr. 2302 VV RVG anzurechnen. Die fiktive Terminsgebühr sei entstanden; sie sei auf 90 v.H. der der Beschwerdegegnerin zustehenden Verfahrensgebühr vor Anrechnung der Gebühr nach Nr. 2302 VV RVG (= 90,00 €) festzusetzen. Die Einigungsgebühr werde auf 100,00 € festgesetzt.
Hiergegen hat die Beschwerdegegnerin Erinnerung eingelegt und ausgeführt, ein Unterschreiten der Mittelgebühr bei der Verfahrensgebühr sei nicht gerechtfertigt. Hinsichtlich der Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG seien lediglich 2/3 der Mittelgebühr (=200,00 €) abgerechnet worden. Die Einigungsgebühr nach Nr. 1006 VV RVG ent...