Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Vernehmungsersuchen nach § 22 SGB 10. Ermittlungspflicht der Behörde. Voraussetzung einer Zeugenvernehmung durch das Gericht. gerichtliche Vernehmung als ultima ratio. sozialgerichtliches Verfahren. Ordnungsgeld. Zweck der Ordnungsgeldfestsetzung gegen einen nicht erschienenen Beteiligten
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Behörde muss im Rahmen ihrer Ermittlungspflicht nach § 20 Abs 1 S 1 SGB X vor einem Ersuchen auf Zeugenvernehmung durch das Gericht sämtliche ihr zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen haben.
2. Nicht ausreichend für ein wirksames Vernehmungsersuchen nach § 22 SGB X ist die schlichte Nichterstattung einer von der Behörde erbetenen schriftlichen Aussage. Die Vernehmung eines Zeugen durch das Gericht stellt lediglich die ultima ratio dar.
3. Zweck der Festsetzung von Ordnungsgeld gegen einen ordnungsgemäß geladenen, nicht erschienenen Beteiligten ist nicht, eine vermeintliche Missachtung des Gerichts zu ahnden, sondern die Aufklärung des Sachverhalts zu fördern. Die Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen einen trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienenen Beteiligten kann daher nur festgesetzt werden, wenn das unentschuldigte Ausbleiben der Partei die Sachaufklärung erschwert und dadurch den Prozess verzögert.
Tenor
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 9. bzw. 21. September 2022 aufgehoben.
Die Staatskasse hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen ein Ordnungsgeld i. H. v. 200 Euro.
Die Stadt G ersuchte am 14. Juli 2022 das Sozialgericht nach § 22 Abs. 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) um Vernehmung der Beschwerdeführerin, da diese in einer Schwerbehindertenangelegenheit einen Befundbericht ohne gutachterliche Äußerung trotz zweifacher Erinnerung nicht vorgelegt hatte. Mit Verfügung vom 20. Juli 2022 kündigte das Sozialgericht die Vernehmung der Beschwerdeführerin in einem noch festzusetzenden Termin an und gab ihr zugleich Gelegenheit, zwecks Vermeidung einer Vernehmung den angeforderten Befundbericht binnen zwei Wochen zu erstatten. Mit Verfügung vom 15. August 2022, der Beschwerdeführerin am 18. August 2022 zugestellt, wurde Erörterungstermin für den 9. September 2022 unter Anordnung des persönlichen Erscheinens der Beschwerdeführerin bestimmt. Im Termin vom 9. September 2022 erschien bei Aufruf der Sache niemand. Daraufhin verhängte das Sozialgericht im Termin und am 21. September 2022 durch Beschluss ein Ordnungsgeld i. H. v. 200 Euro und führte zur Begründung aus, dass die Beschwerdeführerin wiederholt der Aufforderung, den Befundbericht vorzulegen, nicht gefolgt sei. Unerheblich sei, dass sich die Vorlage des Befundberichts mit der Ladung zum Termin überschnitten habe. Dies habe die Beschwerdeführerin nicht davon entbunden, das Gericht rechtzeitig zu informieren.
Hiergegen richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde. Zur Begründung führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie die Zusendung des Gutachtens als ausreichend angesehen habe. Dies sei bei Prüfung der Auferlegung einer Ordnungsstrafe zu berücksichtigen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist statthaft und insbesondere nicht nach § 172 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen.
Die Beschwerde ist auch begründet, weil der Beschluss des Sozialgerichts jedenfalls ermessensfehlerhaft ist. Bleibt ein Beteiligter, dessen persönliches Erscheinen - wie im Fall der Beschwerdeführerin - nach § 111 Abs. 1 Satz 1 SGG angeordnet worden ist, im Termin aus, so kann gegen ihn ein Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen festgesetzt werden (§ 202 Satz 1 SGG i. V. m. § 141 Abs. 3 Satz 1 Zivilprozessordnung [ZPO]). Da das Sozialgericht die Beschwerdeführerin ausdrücklich als Beteiligte zu einem Erörterungstermin geladen hatte, finden diese Vorschriften Anwendung. Der Senat lässt offen, ob nicht dem Zweck des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB X entsprechend eine Ladung als Zeugin hätte erfolgen müssen. Aufgrund dieser Vorgehensweise kann jedenfalls § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 380 Abs. 1 ZPO, wonach einem ordnungsgemäß geladenen Zeugen, der nicht erscheint, die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten und zugleich ein Ordnungsgeld aufzuerlegen sind, keine Anwendung finden. Die Auferlegung eines Ordnungsgeldes nach der vom Sozialgericht gewählten Vorgehensweise setzt mithin zum einen voraus, dass der Beteiligte unter Anordnung des persönlichen Erscheinens und Hinweis auf die Folgen seines Ausbleibens (§ 111 Abs. 1 Satz 2 SGG) ordnungsgemäß geladen worden ist, zum anderen, dass er ohne rechtzeitige genügende Entschuldigung (§ 381 Abs. 1 Satz 1 ZPO) zum Termin nicht erschienen ist (§ 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Wegen Ausbleibens im Termin kommt daher die Festsetzung eines Ordnungsgeldes grds. in Betracht. Allerdings hat das Sozialgericht zwei entschei...