Entscheidungsstichwort (Thema)

Verspäteter Ablehnungsantrag

 

Leitsatz (amtlich)

Übersendet ein Gericht einem Beteiligten ohne Fristsetzung ein medizinisches Gutachten zur Stellungnahme, ist die nachträgliche Ablehnung des Sachverständigen nach mehr als einem Monat nicht mehr unverzüglich (vgl Thüringer LSG, Beschluss vom 15.4.2002 - L 6 RJ 473/99, OLG Koblenz, Beschluss vom 29.6.1998 - 3 U 1078/95; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.9.1997 - 22 W 48/97) und daher unzulässig.

 

Tenor

Der Antrag des Antragstellers vom 2. März 2006, den Sachverständige Dr. med. H. E. O. wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen, wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt in der Hauptsache die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Diesen Anspruch lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 2. September 2002 ab und wies den hiergegen gerichteten Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21. November 2002 zurück. Die Klage hat das Sozialgericht Nordhausen mit Urteil vom 6. Januar 2004 abgewiesen.

Im Berufungsverfahren hat der zuständige Berichterstatter des 6. Senats u.a. den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. med. H. E. O. mit Verfügung vom 1. März 2005 mit der Erstellung eines Gutachtens nach § 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beauftragt. Unter dem 6. April 2005 hat dieser sein Gutachten erstellt und für sein Fachgebiet diagnostiziert, der Antragsteller leide an einer distalen, funktionell unbedeutenden Parese des Nervus Peroneus rechts mit Schwäche des Zehenhebers ohne Einschränkungen für die Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben. Im Übrigen hat er auf das orthopädische Vorgutachten des Dr. W. vom 11. Februar 2005 verwiesen.

Mit Schriftsatz vom 14. April 2005 hat der Antragsteller über seine Bevollmächtigten im Wesentlichen vortragen lassen, er sei vom Sachverständigen nur kurz untersucht worden, außerdem sei dieser erkennbar voreingenommen gewesen. Dem ist der Sachverständige mit Schreiben vom 2. Mai 2005 entgegengetreten.

Mit weiterem anwaltlichem Schreiben vom 19. Oktober 2005 hat der Antragsteller ausgeführt, dass der Sachverständige seine Angaben, die er im Rahmen der Untersuchung gemacht habe, im Gutachten in Teilen falsch dargestellt habe. Des Weiteren hat der Antragsteller die im Gutachten wiedergegebenen Beobachtungen, Schlussfolgerungen und Wertungen angegriffen. Die im Gutachten enthaltenen “weit reichenden„ Diagnosen hätten nicht nach einer lediglich 20 Minuten dauernden, mehrfach unterbrochenen und äußerst oberflächlichen Untersuchung gestellt werden dürfen.

Auch diesem Schriftsatz ist der Gutachter mit Schreiben vom 31. Oktober 2005 entgegen getreten. Demgegenüber hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 28. November 2005 seine Ausführungen bekräftigt und das Gutachten für nicht verwertbar gehalten.

Auf Nachfrage des Gerichts vom 1. Februar 2006 hat der Antragsteller den Gutachter mit anwaltlichem Schriftsatz vom 28. Februar 2006 für befangen erklärt.

Dr. O. ist in seiner Stellungnahme vom 17. März 2006 dem Vorwurf der Befangenheit entgegen getreten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.

II.

Die Ablehnung des Sachverständigen Dr. O. ist statthaft; sie ist jedoch verspätet geltend gemacht worden und daher bereits unzulässig.

Nach § 118 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. §§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) kann ein gerichtlich bestellter Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen, wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Der Ablehnungsantrag ist nach § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO bei dem Gericht oder Richter, von dem der Sachverständige ernannt ist, vor seiner Vernehmung zu stellen, spätestens jedoch zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung.

Zu einem späteren Zeitpunkt ist die Ablehnung nur zulässig, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund früher geltend zu machen (§ 406 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Dies trifft grundsätzlich zu, wenn der Antragsteller - wie hier - den Ablehnungsgrund aus dem Inhalt des Gutachtens herleitet (vgl. Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, 8. Auflage 2005, § 118 Rn. 12m; Greger in Zöller, Zivilprozessordnung, 25. Auflage 2005, § 406 Rn. 11).

In diesem Fall ist der Ablehnungsantrag ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches ≪BGB≫), d.h. innerhalb einer den Umständen des Einzelfalls angepassten Prüfungs- bzw. Überlegungsfrist, und zwar unabhängig von der Prozesslage, zu stellen (vgl. OLG Koblenz in NJW-RR 1999, S. 72, 73; OLG Düsseldorf in NJW-RR 1998, S. 933, 934; Leipold in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 21. Auflage 1999, § 406 Rdnr. 19; Meyer-Ladewig in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O.; Greger in Zöller, a.a.O.). Der Bundesgerichtshof (BGH) hält einen Befangenheitsantrag zumindest dann nicht verspätet, wenn er in...

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