Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Verletztenrente. Entziehung der vorläufigen Entschädigung. Neufeststellung der Unfallfolgen. Rechtsgrundlage. Bestimmtheit. konkrete Bezeichnung des aufzuhebenden Bescheids. Auslegung. objektiver Empfängerhorizont

 

Orientierungssatz

1. § 62 SGB 7 stellt keine wirksame Rechtsgrundlage für die Aufhebung mit Bindungswirkung festgestellter Unfallfolgen dar, sondern erfasst ausschließlich die MdE-Höhe.

2. Rechtsgrundlage hinsichtlich der Neufassung der Unfallfolgen kann nur § 48 SGB 10 sein.

3. Wird die Feststellung des Rechts auf Rente als vorläufige Entschädigung aufgehoben, kann es unschädlich sein, wenn die Berufsgenossenschaft hierbei den aufzuhebenden Bescheid nicht konkret bezeichnet, sofern ein objektiver Erklärungsempfänger erkennen kann, dass der entsprechende Bescheid aufgehoben werden soll.

4. Da nach § 62 Abs 2 S 1 SGB 7 eine zunächst nur als vorläufige Entschädigung gewährte Rente mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall durch Zeitablauf kraft Gesetzes als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet wird, reicht eine Anfechtung der Entziehung der vorläufigen Entschädigung, um das Rechtsschutzziel einer dauerhaften Entschädigung zu erreichen.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 28. September 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Neufassung der Unfallfolgen und die Entziehung einer vorläufig gewährten Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 v. H. zum 1. Juni 2013 wegen wesentlicher Besserung der Unfallfolgen.

Der 1991 geborene Kläger erlitt am 1. Juni 2010 als Auszubildender einen Arbeitsunfall, als er während der Arbeit als Dachdecker aus ca. 4 bis 5 m Höhe von einem Gerüst abstürzte. Dabei zog er sich eine Fraktur der Lendenwirbelkörper zu. Deswegen befand er sich vom 1. bis 9. Juni 2010 in stationärer Behandlung im S.-Krankenhaus N.. Prof. Dr. H. erstellte am 23. März 2011 ein Erstes Rentengutachten für die Beklagte und stellte als Unfallfolgen eine knöchern konsolidierte LWK 2 Fraktur mit Bewegungseinschränkungen in diesem Bereich, knöchern konsolidierte initial nicht verschobene Radiusfraktur ohne Einschränkungen und eine OSG-Distorsion rechts mit Schmerzen im Bereich des vorderen Außenbandes fest. Die MdE bezifferte er mit 10 v. H. Der Dipl.-Psych. U. diagnostizierte in seinem psychotraumatologischen Gutachten vom 30. Juni 2011 eine unfallabhängige spezifische Phobie im Sinne einer Höhenangst. Die MdE bewertete er mit 20 v. H. Mit Schreiben vom 23. April 2012 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die erneute Erstellung eines Ersten Rentengutachtens aufgrund des Zeitablaufes durch die bisherigen Sachverständigen erforderlich sei. Daraufhin erstatteten Prof. Dr. H. am 2. Mai 2012 erneut ein Erstes Rentengutachten. Er stellte fest, dass inzwischen das im Rahmen der Erstversorgung in die Lendenwirbelsäule eingebrachte Material komplett wieder entfernt worden war. Als wesentliche Unfallfolge wurde erneut eine knöchern konsolidierte LWK 2 Fraktur mit Bewegungseinschränkungen in diesem Bereich festgehalten und die MdE auf 10 v. H. eingeschätzt. In einem weiteren fachpsychotraumatologischem Gutachten vom 22. Mai 2012 sah der Dipl.-Psych. U. eine spezifische Phobie im Sinne einer Höhenangst erneut als Unfallfolge an. Die MdE wurde mit 10 v.H. eingeschätzt. Der Beratungsarzt der Beklagten, der Chirurg Dr. S., bezifferte in einer Stellungnahme vom 4. Juli 2012 die MdE auf chirurgischem Fachgebiet mit 20 v. H. Dem Vorschlag von Prof. Dr. H., die MdE mit 10 v. H. einzuschätzen, könne nicht gefolgt werden. Nach knöcherner Verletzung des zweiten Lendenwirbelkörpers sei operativ eine Versteifung der Bewegungssegmente LWK 1/2 und LWK 2/3 erfolgt. Die Metallentfernung sei im März 2011 erfolgt. Es müsse von einem Bewegungsverlust der Bewegungssegmente LWK 1/2 und LWK 2/3 ausgegangen werden. Dies rechtfertige eine MdE von 20 v. H. In einer weiteren Stellungnahme vom 11. Juli 2012 schlug er unter Einbeziehung der Höhenphobie eine Gesamt-MdE von 30 v. H. vor.

Daraufhin erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 15. August 2012 das Ereignis vom 1. Juni 2010 sinngemäß als Arbeitsunfall und als Folgen des Arbeitsunfalles an:

„Bewegungseinschränkungen im Bereich der Lendenwirbelsäule nach LWK II Fraktur mit Bewegungsverlust der Segmente LWK 1/2 und LWK 2/3 nach operativer Stabilisierung sowie nachfolgender Materialentfernung, spezifische Phobie im Sinne einer Höhenangst nach Absturzereignis“. Sie bewilligte ab dem 14. Mai 2012 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 30 v. H. bis auf weiteres.

Mit Gutachten vom 7. Februar 2013 zur Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit stellten Dr. D./Prof. Dr. H. eine knöchern konsolidierte Fraktur des zweiten Lendenwirbelkörpers mit geringen Bewegungseinschränkungen als Unfallfolge fest. Die MdE wurde auf 10 ...

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