Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Berufung. isolierter Antrag auf Zurückverweisung des Rechtsstreits. Unzulässigkeit. Auslegung des Antrags eines nicht anwaltlich vertretenen Beteiligten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein isolierter, allein auf Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht (§ 159 SGG) gerichteter Berufungsantrag ist nach dem SGG nicht zulässig. Die Zurückverweisung anstelle einer Entscheidung in der Sache ist allein (Ermessens-)Entscheidung des Gerichts.

2. Ein allein auf Zurückverweisung nach § 159 SGG gerichteter Antrag eines nicht anwaltlich Vertretenen darf nach dem Meistbegünstigungsprinzip als Sachantrag ausgelegt werden, um die Unzulässigkeit der Berufung zu vermeiden.

Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision wurde mit Beschluss des BSG vom 1.7.2021 - B 9 SB 2/21 BH abgelehnt.

 

Normenkette

SGB IX § 2 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 152 Abs. 1 Sätze 1, 6, § 153 Abs. 2, §§ 156, 228 Abs. 1, § 229 Abs. 1; SGB IX a.F. § 2 Abs. 1-2, § 69 Abs. 1 Sätze 1, 5-6, §§ 73, 159 Abs. 7; VersMedV Anlage zu § 2; BVG § 30 Abs. 16; BVG a.F. § 30 Abs. 17; GG Art. 19 Abs. 4; SGG § 159

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 01.07.2021; Aktenzeichen B 9 SB 2/21 BH)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 1. April 2020 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB) und des Vorliegens der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“.

Der 1957 geborene Kläger beantragte am 22. März 2017 bei der Beklagten die Feststellung eines GdB sowie der Voraussetzungen des Merkzeichens „G“. Der Kläger gab an, dass er höchstens noch 30 Minuten stehen und eine bis 1 ½ Stunden gehen könne. Er habe eine geringe Rückenbelastbarkeit und Konzentrationsprobleme, geringe Verdauungsbelastbarkeit, geringe körperliche Belastbarkeit und leide an Kraftlosigkeit, Erschöpfung und vielfältigen Somatisierungsstörungen sowie durchfallähnlichem Stuhlgang. Der Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht der behandelnden Ärztin des Klägers B ein. Diese berichtete am 2. Mai 2017 über einen Verdacht auf eine multiple Persönlichkeitsstörung, chronische Enteritis, Fibromyalgiesyndrom und Verdacht auf psychogene Polyarthralgie. Dem Befundbericht waren verschiedene ärztliche Befunde und die Kopie eines Entlassungsberichts nach einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation in Bad L zu Lasten der Deutschen Rentenversicherung von 2015 beigefügt. Der Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 6. Juni 2017 einen GdB von 30 ab 22. März 2017 fest. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens „G“ lägen nicht vor. Dieser Feststellung lag die Behinderung Fibromyalgiesyndrom mit somatoformen Störungen mit einem GdB von 30 zugrunde.

Im anschließenden Widerspruchsverfahren holte der Beklagte erneut einen Befundbericht von B ein. Nach den Angaben des Klägers war dies seinerzeit die einzige behandelnde Ärztin. B teilte im Befundbericht vom 20. September 2017 Rückenschmerzen und Polyarthralgie mit. Zuletzt habe der Kläger sie am 10. Mai 2017 aufgesucht, bei der Konsultation hätten keine wesentlichen Beschwerden festgestellt werden können. Der Beklagte half dem Widerspruch nicht ab und leitete ihn an das Thüringer Landesverwaltungsamt weiter. Dieses wies den Widerspruch für den Freistaat Thüringen am 19. April 2018 zurück.

Im Klageverfahren hat der Kläger nochmal auf seine eingeschränkte Stehfähigkeit hingewiesen. Das Gericht hat Gutachten aus dem Verfahren S 42 R 1328/16 des Sozialgerichts Gotha beigezogen. Im Rahmen dieses Verfahrens hat Privat-Dozent F den Kläger am 13. März 2018 auf internistischem Fachgebiet untersucht. Er diagnostizierte eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, Reizdarmsyndrom, ein degeneratives HWS-, BWS- und LWS-Syndrom, retropatellare Chondropathie, Senkfüße, Hyperlipidämie, Harnblasenentleerungsstörung und kombinierte Persönlichkeitsstörung. Der Kläger hat sich gegen die Verwertung des Gutachtens von F gewandt. Das Gericht holte weiterhin einen Befundbericht der B vom 4. September 2018 ein, die keine Änderung zum Befund vom 15. September 2017 mitteilte. Außerdem zog das Gericht ein Gutachten des A bei, der den Kläger am 11. April 2017 auf orthopädischem Fachgebiet im Rentenverfahren untersucht hatte (Bl. 82). Dieser äußerte den Verdacht auf somatoforme Schmerzstörung und bestätigte die Schmerzsymptomatik der Wirbelsäule. Auch ein Gutachten des W, der den Kläger im Auftrag der Bundesagentur für Arbeit am 29. Juni 2017 untersucht hatte, wurde beigezogen. Dieser bestätigte ebenfalls Beschwerden der Wirbelsäule, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, multiple Persönlichkeitsstörung, Immunkomplex-Vaskulitis und hypochondrische Neurose. Das im Rahmen des Rentenverfahrens erstellte Guta...

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