Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Angemessenheitsprüfung. Dreipersonenhaushalt im Landkreis Gotha in Thüringen. Kostensenkungsverfahren. schlüssiges Konzept. Zulässigkeit der rückwirkenden Anwendung. Zulässigkeit verschiedener Referenzmieten in demselben Vergleichsraum. regionale Besonderheiten. Bildung von Wohnungsmarkttypen. zentrale Warmwasserbereitung ab 1.1.2011. Aufschlag auf die angemessenen Heizkosten nach bundesweitem Heizspiegel

 

Leitsatz (amtlich)

1. Es ist nicht zu beanstanden, wenn ein der Unterkunftsrichtlinie zugrunde liegendes schlüssiges Konzept auch auf Zeiträume vor ihrem Inkrafttreten angewendet wird, wenn diese nach dem Stichtag der Datenerhebung liegen.

2. Den Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Erstellung eines schlüssigen Konzepts ist nicht zu entnehmen, dass innerhalb eines Vergleichsraumes nur eine einheitliche Referenzmiete festzusetzen ist. Wenn der Vergleichsraum in einem ländlichen Gebiet ohne Oberzentrum besteht, über keinen einheitlichen Wohnungsmarkt verfügt und regionale Unterschiede des Mietpreisniveaus aufweist, ist es sachgerecht, differenzierte Mietobergrenzen festzulegen.

3. Die Zusammenfassung ähnlicher Wohnungsmarkt- und Mietpreisstrukturen in Wohnungsmarkttypen mit unterschiedlichen Mietobergrenzen mittels der Clusteranalyse dient der Abbildung unterschiedlicher Mietniveaus innerhalb des Vergleichsraumes. Diese Differenzierung ist sachgerecht, um repräsentative und marktgerechte Mieten zu ermitteln sowie eine soziale Segregation zu vermeiden. Durch die Wohnungsmarkttypisierung wird aufgrund der Berücksichtigung regionaler Besonderheiten die Ermittlung empirisch valider und repräsentativer Referenzmieten für die Ableitung abstrakt angemessener Mieten ermöglicht.

4. Leistungsberechtigte werden bei einem erforderlichen Umzug hinsichtlich der Wohnungssuche nicht auf den ihrer Gemeinde zugehörigen Wohnungsmarkttyp beschränkt. Bei einem erforderlichen Umzug in einen teureren Wohnungsmarktyp gelten dessen Angemessenheitsgrenzen und umgekehrt bei Umzug von einem teureren Wohnungsmarkttyp in einen günstigeren gelten dessen niedrigere Angemessenheitsgrenzen.

5. Zur Ermittlung der angemessenen Heizkosten ist auf den "Bundesweiten Heizspiegel" abzustellen, der zum Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung veröffentlicht war. Den Werten des Heizkostenspiegels aus späteren Jahren kommt keine Bedeutung zu.

6. Seit 1.1.2011 entfällt die Herausrechnung eines Abschlags für die Erhitzung von Warmwasser (§ 77 Abs 6 SGB 2). Erfolgt die Warmwasseraufbereitung zentral, sind somit die Kosten für die Warmwassererzeugung als Heizkosten bei der Angemessenheitsprüfung zusätzlich zu berücksichtigen. Daher ist zum Grenzwert des Heizspiegels ein Aufschlag zu addieren; hier konnte es dahingestellt bleiben, welcher der in Betracht kommenden Berechnungsmethode für diesen Aufschlag der Vorzug gebührt.

 

Orientierungssatz

1. Als angemessene Wohnfläche iS des § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 für einen Dreipersonenhaushalt sind in Thüringen Wohnungen mit einer Wohnfläche bis 75 qm anzuerkennen.

2. Als räumlicher Vergleichsbereich für die Ermittlung angemessener Unterkunftskosten ist der gesamte Landkreis Gotha zu betrachten.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 07.10.2015; Aktenzeichen B 14 AS 255/15 B)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 9. Mai 2014 abgeändert. Der Beklagte wird unter Aufhebung des Überprüfungsbescheides vom 26. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2011 verpflichtet, den Bescheid vom 22. Juli 2010 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 26. März 2011 abzuändern und den Klägern für den Zeitraum 1. bis 31. Januar 2011 zusätzlich insgesamt 3,75 Euro zu zahlen. Insoweit wird die Berufung zurückgewiesen.

Im Übrigen wird das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 9. Mai 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für beide Instanzen keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob den Klägern im Zeitraum vom 1. bis 31. Januar 2011 höhere Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) zustehen.

Die seit 2005 im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II stehende, 1982 geborene Klägerin zu 1) lebte im streitgegenständlichen Zeitraum mit ihren Kindern, der 2004 geborenen Klägerin zu 2) und dem 2006 geborenen Kläger zu 3), in einer 72 m² großen Wohnung in der ….. in G.

Zu Beginn des Mietverhältnisses am 1. Juni 2005 zahlten die Kläger eine Miete in Höhe von 460,32 Euro (331,32 Euro Kaltmiete, 72 Euro Betriebskosten, 57 Euro Heizkosten). Die Warmwasseraufbereitung erfolgt zentral. In der Folgezeit erfolgten jährliche Veränderungen aufgrund der Anpassung der Betriebs- und Heizkostenvorauszahlungen. Im Zeitraum 1. Januar bis 31. Juli 2011 betrug die von den Klägern geschuldete Miete 541,32 Euro (331,32 Euro Kaltmiete, 105 Euro Betriebskosten, 105 Euro Heizkosten).

Der...

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