Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Gesundheitsstörung auf psychiatrischem Gebiet. Abgrenzung: spezifische Phobie - dissoziative Bewegungsstörung. haftungsbegründende Kausalität. Wahrscheinlichkeit. sozialgerichtliches Verfahren - Befragungsrecht eines Verfahrensbeteiligten gegenüber Sachverständigen: sachdienlicher Klärungsbedarf
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Abgrenzung der Diagnose einer spezifischen Phobie von einer dissoziativen Bewegungsstörung.
2. Zur Nichtanerkennung einer dissoziativen Bewegungsstörung als unmittelbare Folge eines Unfallereignisses mangels Vorliegens der hinreichenden Wahrscheinlichkeit.
3. Jeder Verfahrensbeteiligte hat grundsätzlich - zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs - ein Recht auf Befragung eines Sachverständigen, der ein (schriftliches) Gutachten erstattet hat (§§ 116 S 2, 118 Abs 1 SGG iVm §§ 397, 402, 411 Abs 4 ZPO; § 62 SGG). Sachdienlichkeit im Sinne von § 116 S 2 SGG ist zu bejahen, wenn sich die Fragen im Rahmen des Beweisthemas halten und nicht abwegig oder bereits eindeutig beantwortet sind.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 5. September 2019 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob weitere Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet Folge des von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalles vom 17. März 2011 sind und ob der Kläger die Zahlung einer Verletztenrente beanspruchen kann.
Der 1977 geborene Kläger war zum Unfallzeitpunkt in den N1 Werkstätten beschäftigt. Auf dem Weg von den Werkstätten nach Hause ist er ausgerutscht und hat sich ausweislich des Durchgangsarztberichtes vom gleichen Tage eine Luxation, Verstauchung und Zerrung des linken Kniegelenks zugezogen. Durch Bescheid vom 22. September 2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung dieses Ereignisses als Arbeitsunfall ab, da der Unfall auf bereits bestehende gesundheitliche Beeinträchtigungen zurückzuführen sei. Nach erfolgloser Durchführung eines Widerspruchsverfahrens hat der Kläger hiergegen Klage erhoben (Az.: S 10 U 1229/12). In diesem Klageverfahren hat die Beklagte durch Bescheid vom 10. Juli 2013 ihren Bescheid vom 22. September 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2012 zurückgenommen und das Ereignis vom 17. März 2011 als Arbeitsunfall anerkannt. In der Folgezeit gewährte die Beklagte Verletztengeld bis 21. Oktober 2011. Hiergegen strengte der Kläger nach erfolgloser Durchführung eines Widerspruchsverfahrens erneut ein gerichtliches Klageverfahren an. Im Rahmen dieses Klageverfahrens wurde ein Bericht der Klinik für Psychiatrie des S Klinikums vom 13. November 2016 vorgelegt, wonach der Kläger als Folge des Arbeitsunfalles vom 17. März 2011 an einer massiven Angststörung leide. Diagnostiziert wurde eine spezifische isolierte Phobie ICD-10: F 40.2. Daraufhin hat der Kläger seine Klage auf weitere Zahlung von Verletztengeld aus wirtschaftlichen Gründen zurückgenommen. Insoweit hatte der Vorsitzende in der mündlichen Verhandlung am 14. Dezember 2016 darauf hingewiesen, dass es vorteilhafter sei, eine Verletztenrente zu beziehen. In dem Rechtsstreit bezüglich der Gewährung von Verletztengeld war ein Gutachten von H vom 26. Oktober 2015 eingeholt worden. Darin bezifferte dieser die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) vom 22. Oktober 2011 bis zum 7. April 2015 mit 25 v. H. und für die Zeit danach mit 20 v. H. Dieser Einschätzung widersprach der Beratungsarzt der Beklagten M1 in einer Stellungnahme vom 12. November 2015. Nach der zweiten Untersuchung sei eine deutliche Besserung eingetreten. Aufgrund der deutlichen Zunahme der Oberschenkelmuskulatur könne man von einer weitgehenden Kompensierung der ausgeprägten Instabilität ausgehen. Daher sei eine MdE von 10 v. H. ab dem 8. April 2015 angemessen. Daraufhin erkannte die Beklagte durch Bescheid vom 13. März 2017 als Folgen des Arbeitsunfalles eine geringe Instabilität des vorderen Kreuzbandes des linken Kniegelenks nach operativer Refixation des vorderen Kreuzbandes und Naht des Innenmeniskushinterhorns am 27. April 2011 an. Ausdrücklich nicht als Folge des Arbeitsunfalls anerkannt wurde eine spastische Tetraparese mit eingeschränkter Gehfähigkeit und einer geistigen Behinderung mittleren Grades seit der Geburt. Für den Zeitraum vom 22. Oktober 2011 bis 7. April 2015 wurde eine Rente nach einer MdE in Höhe von 20 v. H. anerkannt. Nach dem 7. April 2015 sei die Instabilität des Kniegelenks nicht mehr derart ausgeprägt, dass eine MdE im rentenberechtigenden Umfang gerechtfertigt erscheine. Ein hiergegen durch den Kläger eingelegter Widerspruch, welchen der Kläger insbesondere auch mit einer Gangunsicherheit begründete, wurde durch Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2017 zurückgewiesen. Im Bereich der Umfangmaße sei zwischen den Untersuchungszeiten der beiden Gutachten eine deutliche Besserung eingetreten...