Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Gesundheitserstschaden. Unfallvorgang. haftungsbegründende Kausalität. Nachweis. Schadensbild nach einer traumatischen Kniescheibenverrenkung. Schadensanlage. Konkurrenzursache. Sulcuswinkel über 150 Grad gemessen nach Brattström

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Verrenkung der Kniescheibe kann traumatisch nur entweder durch eine direkte Gewalteinwirkung auf deren Innenseite oder im Wege indirekter Gewalteinwirkung durch eine forcierte Innendrehung des Oberschenkels gegenüber dem in Außenrotation fixierten Unterschenkel bei gleichzeitiger Kniebeugung entstehen.

2. Das Schadensbild nach einer Kniescheibenverrenkung ist in der Regel nicht ausreichend in der Lage, Aussagen zur Kausalität zu treffen, da bei erstmals auftretenden Kniescheibenverrenkungen, seien sie traumatisch oder anlagebedingt, ein weitgehend identisches Befundbild zu erwarten ist.

3. Ein Sulcuswinkel über 150 Grad gemessen nach Brattström ist als wesentliche konkurrierende Ursache anzusehen.

4. Dispositionelle Faktoren für eine Kniescheibenluxation müssen nicht kumulativ vorliegen, sondern das Vorliegen einzelner Schadensanlagen kann ausreichend sein.

 

Normenkette

SGB VII § 2 Abs. 1, § 8 Abs. 1; SGG § 54

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 18. Juni 2018 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger am 16. Juli 2015 einen Arbeitsunfall mit der Folge einer traumatisch bedingten Patellaluxation rechts erlitten hat.

Der 1998 geborene Kläger war als Beifahrer in der Werkstatt des F. D. in S., um gereinigte Rollschläuche der Freiwilligen Feuerwehr Sch. abzuholen. Beim Verladen der Rollschläuche sprang seine rechte Kniescheibe heraus. Der am Unfalltag aufgesuchte Durchgangsarzt stellte eine Patellaluxation rechts fest. Er befand sich deshalb in der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie in S. bis zum 18. Juli 2015 in stationärer Behandlung.

Mit Schreiben vom 29. Juli 2015 lehnte die Beklagte die Übernahme weiterer Behandlungskosten ab. Die eingetretene Patellaluxation rechts sei Folge eines Anlassgeschehens. Beim Kläger liege eine Fehlform der rechten Kniescheibe vom Typ Wiberg IV vor, die als wesentliches disponierendes Merkmal für eine Verrenkungsgefährdung der Kniescheibe einzustufen sei. Mit Schreiben vom 5. August 2015 legte der Kläger Widerspruch gegen die Ablehnung der Kostenübernahme durch Bescheid vom 29. Juli 2015 ein. Daraufhin erließ die Beklagte gegenüber dem Kläger am 2. September 2015 einen Bescheid, mit welchem die Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt wurde. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Im Widerspruchsverfahren holte die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 9. Februar 2016 ein. Dieser führte darin aus, dass der Kläger in dem typischen Alter für eine Kniescheibenerstverrenkung sei. Aufgrund erheblicher disponierender Faktoren, wie Jägerhut-Kniescheibe und sehr flaches Kniescheibengleitlager, sei diese aus körpereigener Ursache eingetreten. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. März 2016 zurück. Alleinige Ursache der Patellaluxation rechts sei die vorhandene Kniescheibenfehlform.

Hiergegen hat der Kläger am 18. April 2016 beim Sozialgericht Meiningen Klage erhoben. Das Sozialgericht hat Dr. K. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Dieser verneint in seinem Gutachten vom 11. Oktober 2016 das Vorliegen einer traumatisch bedingten Patellaluxation rechts. Eine Ausrenkung der rechten Kniescheibe sei vollbeweislich am Unfalltag gesichert. Bereits der Unfallhergang sei nicht geeignet, eine traumatische Luxation der rechten Kniescheibe zu verursachen. Ein äußerer seitlicher Anprall an das Kniegelenk könne eine Kniescheibenausrenkung nach außen nicht herbeiführen. Hierzu wäre ein Anprall im Bereich des inneren Kniegelenks notwendig. Auch die auftretende Krafteinwirkung sei nicht ausreichend. Die Röntgenaufnahmen belegten eine erhebliche Dysplasie des Kniescheiben/Oberschenkelrollengelenks. Der Sulcuswinkel nach Brattström betrage 157 Grad (der Normwert liege bei 142 Grad). Im Fall des Klägers liege eine sogenannte Wiberg IV-Variante der Kniescheibenrückfläche vor, bei welcher sich nahezu keine Kielform mehr finde. Diese Form werde auch als Jägerhutpatella bezeichnet. Der Kniescheibenstand sei sehr hoch. Nach dem Insall-Salvati Index betrage er 1,6. Der Normwert liege zwischen 0,8 und 1,2. Diese Faktoren begünstigten eine seitliche Ausrenkung der Kniescheibe. Aufgrund des nicht als geeignet anzusehenden Unfallmechanismus und einer erheblichen dysplastischen Schadensanlage des Kniescheibengelenks sei daher eine traumatische Kniescheibenluxation zu verneinen.

Auf Antrag des Klägers hat das Sozialgericht Prof. Dr. H. mit der Erstellung eines Zusammenhangsgutachtens nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beauftragt. Diese...

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