Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. Anspruch auf unbefristeten Schwerbehindertenausweis. unbefristeter Bescheid über die Schwerbehinderteneigenschaft. nicht absehbare Änderung der Gesundheitsverhältnisse. grundsätzliche Befristung des Ausweises. atypischer Fall nur bei unzumutbarem Mehraufwand für den Antragsteller. Anspruch aus § 6 Abs 2 S 2 SchwbAwV nur bei Ermessensreduzierung auf Null. unterschiedliche Verwaltungspraxis. kein subjektiver Anspruch aus Gleichbehandlungsgrundsätzen. sozialgerichtliches Verfahren. Klageart. allgemeine Leistungsklage. Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises kein Verwaltungsakt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises ist im Wege der allgemeinen Leistungsklage zu verfolgen (§ 54 Abs 5 SGG). Eine Anfechtungsklage kommt nicht in Betracht, denn bei der Befristung des Ausweises handelt sich nicht um eine Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt.

2. Aus dem Umstand, dass ein (unbefristeter) Feststellungsbescheid über das Bestehen einer Schwerbehinderung erteilt wurde, folgt nach geltendem Recht selbst dann kein Anspruch auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises, wenn eine Änderung des Gesundheitszustands nicht zu erwarten ist.

3. Ein atypischer Fall liegt bei § 152 Abs 5 SGB IX dann vor, wenn der für den Betroffenen mit der Beantragung eines neuen Schwerbehindertenausweises verbundene Aufwand vom Normalfall derart abweicht, dass der Betroffene im Vergleich zu anderen Schwerbehinderten deutlich stärker belastet wird. Das ist nicht schon dann der Fall, wenn eine wesentliche Änderung in den dem Feststellungsbescheid zu Grunde liegenden gesundheitlichen Verhältnissen nicht zu erwarten ist.

4. Es spricht viel dafür, dass § 6 Abs 2 S 2 SchwbAwV keine Ermessensvorschrift ist, sondern ein reines "Kompetenz-Kann" zum Zweck der Verwaltungsvereinfachung normiert.

 

Orientierungssatz

1. Selbst wenn in § 6 Abs 2 S 2 SchwbAwV eine Ermessensvorschrift gesehen wird, käme ein Anspruch auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises allenfalls in Betracht, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null vorläge.

2. Aus einer großzügigeren Verwaltungspraxis bei der Ausstellung von unbefristeten Schwerbehindertenausweisen in anderen Landkreisen lässt sich kein einklagbares subjektiv-öffentliches Recht auf eine gleiche Vorgehensweise ableiten.

 

Normenkette

SchwbAwV § 6 Abs. 2 S. 2; SGB IX § 152 Abs. 2 S. 2, Abs. 5 S. 3; SGB X §§ 31, 32 Abs. 1, § 48 Abs. 1 S. 2; SGG § 54 Abs. 5; ZPO § 417

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 10. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises.

Der 1977 geborene Kläger beantragte am 04. März 1991 beim seinerzeit zuständigen Versorgungsamt die Feststellung von Behinderungen.

Mit Bescheid vom 10. Dezember 1998 (Bl. 65 d. VwA.) wurden ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen der Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht festgestellt. Mit Bescheid vom 08. März 2002 (Bl. 78 d. VwA.) wurde neben der Hörbehinderung mit Sprachbehinderung eine neu hinzugekommene operativ behandelte Erkrankung des rechten Hodens festgestellt. Zudem wurde festgestellt, dass die Voraussetzungen der Gehörlosigkeit vorliegen.

Den Angaben des Klägers im Schreiben vom 01. Januar 2014 (Bl. 106 d. A.) zufolge war ein unbefristeter Schwerbehindertenausweis ausgestellt worden. Mit diesem Schreiben beantragte der Kläger die Ausstellung eines neuen Schwerbehindertenausweises (entsprechend Muster 5 zu § 9 der Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) i. d. F. des Gesetzes vom 07. Juni 2012, BGBl. I 2012, S. 1275). Dieser Ausweis wurde auf fünf Jahre befristet ausgestellt. Der gegen die Befristung gerichtete Widerspruch des Klägers wurde durch bestandskräftigen Widerspruchsbescheid vom 14. Januar 2015 (Bl. 114 d. VwA.) zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 03. März 2019 beantragte der Kläger die Ausstellung eines neuen unbefristeten Ausweises. Gegen die neuerliche Befristung erhob der Kläger mit Schreiben vom 27. März 2019 „Einspruch“ (Bl. 118 d. VwA.). Dieser wurde durch Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2019 (Bl. 122 d. VwA.) als unzulässig zurückgewiesen.

Gegen die Bescheide erhob der Kläger am 05. August 2019 Klage zum Sozialgericht. Das Sozialgericht hat die auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 15. Juli 2019 gerichtete Klage durch Gerichtsbescheid vom 10. Oktober 2019 abgewiesen.

Gegen den am 30. Oktober 2019 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die Berufung des Klägers, die am 12. November 2019 beim Landessozialgericht eingegangen ist und mit der der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.

Er macht geltend, eine Verbesserung seines Gesundheitszustandes sei nicht zu erwarten bzw. au...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge