Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgrenzung Verwaltungsakt. Mitteilung
Leitsatz (amtlich)
Die in einem Bescheid zum Grad der Behinderung bzw zu Merkzeichen nach dem SGB IX getroffene Feststellung, "die bisherigen Feststellungen" eines früheren Bescheids blieben im Übrigen "weiterhin gültig" ist in der Regel keine förmliche Neufeststellung, sondern lediglich die aufgrund neuer Prüfung gemachte Aussage, dass ein früherer Feststellungsbescheid als Dauerverwaltungsakt weiterhin Bestand hat; eine Regelung im Sinne von § 31 SGB X liegt darin nicht.
Orientierungssatz
1. Ein Bescheid über die Herabsetzung eines Grads der Behinderung (GdB) und die Entziehung von Merkzeichen, welcher sich fehlerhaft auf einen konkret datierten (Bezugs-)Bescheid bezieht, mit dem der GdB und die Merkzeichen tatsächlich nicht als letztes zuerkannt worden sind (hier: nur deklaratorischer Hinweis auf Weitergeltung der bisherigen Feststellungen ohne förmliche Neufeststellung), ist auslegungsfähig, ohne dass der Wortlaut des Bescheids dem entgegenstehen würde (vgl BSG vom 25.10.2017 - B 14 AS 9/17 R = SozR 4-1300 § 45 Nr 19; aA LSG Celle-Bremen vom 11.12.2019 - L 13 SB 14/19, das eine Umdeutung für erforderlich hält).
2. Insoweit kann die Auslegung eines Herabsetzungs- und Entziehungsbescheids unzweideutig ergeben, dass auch die anderen, nicht ausdrücklich bezeichneten (Zuerkennungs-)Bescheide, deren Feststellungen geändert werden, von der (teilweisen) Aufhebung erfasst sein sollen (vgl BSG vom 25.10.2017 - B 14 AS 9/17 R aaO).
3. Eine Aufhebung eines Bescheids nach § 48 SGB 10 setzt stets eine Veränderung voraus, damit nicht die Voraussetzungen des § 45 SGB 10 umgangen werden. Aus diesem Grund obliegt es der Versorgungsbehörde, bei einer Neufeststellung nach § 48 SGB 10 den Besserungsnachweis zu erbringen (hier verneint für die Herabsetzung des GdB und der Merkzeichen G und B für einen autistischen Menschen nach Erreichen des Erwachsenenalters).
Normenkette
SGB X §§ 31, 33, 37 Abs. 2 S. 2, §§ 45, 48 Abs. 1 S. 1; SGB IX § 152 Abs. 1; BGB §§ 133, 157
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Altenburg vom 22. Februar 2021 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Absenkung des bei ihm festgestellten Grades der Behinderung (GdB) von 70 auf 50 und gegen die Entziehung der Merkzeichen G und B.
Der 1997 geborene Kläger leidet an einem atypischen Autismus. Mit Erstbescheid vom 12. Mai 2004 wurden ein GdB von 50 und die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens H festgestellt. Mit Bescheid vom 20. April 2006 wurde der GdB auf 60 angehoben. Mit Bescheid vom 11. November 2008 wurden zusätzlich die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen G und B festgestellt, der GdB von 60 und das Merkzeichen H blieben bestehen. Durch Bescheid vom 3. März 2014 hob der Beklagte den GdB auf 70 an. Die bisherige Feststellung der Merkzeichen B, G, H bleibe weiterhin gültig. Unter dem 21. April 2016 erließ der Beklagte einen Bescheid, mit dem festgestellt wird, dass nunmehr die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen H nicht mehr vorliegen. Die bisherige Feststellung des GdB von 70 und die bisherige Feststellung von Merkzeichen G und B blieben gemäß Bescheid vom 3. März 2014 weiterhin gültig. Dieser Bescheid ist bestandskräftig geworden.
Im März 2018 überprüfte der Beklagte erneut, ob die Feststellungen nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) noch weiterhin zutreffen. Er holte dazu einen Befundbericht der behandelnden Fachärztin für Nervenheilkunde P ein. In deren Befundbericht vom 16. April 2018 gibt sie bei psychischem Befund an: „Bewusstseinsklar, ausreichend orientiert. Stimmung soweit freundlich, recht unsicher und unruhig, jedoch sehr bemüht, Antrieb nicht beeinträchtigt, Denkablauf soweit geordnet, insgesamt jedoch verlangsamt. Auffassung, Konzentration und Merkfähigkeit vermindert.“ Sie diagnostizierte Angst und depressive Störung gemischt, Intelligenzminderung mit autistischen Zügen. Dem Befundbericht waren auch die Behandlungsberichte der Ergotherapie M beigefügt, deren Hauptziel das Abbauen negativer Verhaltensauffälligkeiten sowie das pünktliche und selbständige Einhalten terminlicher Verpflichtungen und das Verbessern der positiven Eigensteuerung ist. Dem Beklagten lag auch ein Gutachten zur Pflegebedürftigkeit aus dem Jahr 2011 vor.
Der Beklagte hörte die Mutter des Klägers, welche zugleich seine Betreuerin ist, mit Schreiben vom 26. Oktober 2018 zu einer beabsichtigten Absenkung des GdB auf 50 und Aberkennung der Merkzeichen B und G an. Es sei eine wesentliche Besserung des Gesundheitszustands des Klägers eingetreten. Dazu hat der anwaltlich vertretene Kläger mit Schreiben vom 13. Dezember 2018 eingewandt, dass allein die Angabe im Befundbericht, dass der Kläger bewusstseinsklar und ausreichend orientiert gewesen sei, weder eine Absen...