Entscheidungsstichwort (Thema)

Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit bei dem Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH. Versicherungspflicht. Kapitalbeteiligung. Rechtsmacht. Sperrminorität. Vetorecht. Weisungsfreiheit. Unternehmerrisiko. Tantieme. Darlehen

 

Orientierungssatz

1. Bei der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbständigen Tätigkeit ist von Ersterer auszugehen, wenn die Tätigkeit in einem Arbeitsverhältnis unter einer Weisungsgebundenheit verrichtet wird und eine Eingliederung in einen fremden Betrieb vorliegt. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit durch das eigene Unternehmerrisiko, eine eigene Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.

2. Nach diesen Grundsätzen ist auch zu beurteilen, ob der Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH als selbständig Tätiger oder als abhängig Beschäftigter zu beurteilen ist.

3. Ist der Geschäftsführer am Stammkapital der GmbH zu 49 % beteiligt, ist ein festes monatliches Entgelt - wenn auch in relativ geringer Höhe - vereinbart, hat er Anspruch auf bezahlten Urlaub und auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und hat er seine gesamte Arbeitskraft der GmbH zur Verfügung zu stellen, so ist von dem Bestehen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen.

4. Ein Anspruch auf Gewährung einer Tantieme schließt die Annahme einer abhängigen Beschäftigung nicht aus. Durch die Gewährung eines Darlehens wird ein für eine Selbständigkeit sprechendes typisches Unternehmerrisiko nicht begründet.

 

Normenkette

SGB IV § 7 Abs. 1; SGB III § 25 Abs. 1; SGB V § 5 Abs. 1 Nr. 1; SGB VI § 1 S. 1 Nr. 1; SGB XI § 20 Abs. 1 S. 2 Nr. 1; GmbHG § 46 Nr. 6

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 28.02.2017; Aktenzeichen B 12 R 21/16 B)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 24. April 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin seit dem 1. Juni 2010 bei der Beigeladenen zu 1. versicherungspflichtig beschäftigt ist.

Die 1979 geborene Klägerin beantragte im Mai 2010 die Feststellung ihres versicherungsrechtlichen Status bei der Beklagten. Seit dem 1. Juni 2010 seien sie und T. M. Gesellschafter und Geschäftsführer der Beigeladenen zu 1. Er sei Kfz-Meister und zuständig für den Geschäftsbereich der Werkstatt, sie habe den Beruf der Steuerfachangestellten erlernt und sei für das Büro zuständig. Zurzeit betrage ihre regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit aufgrund Elternzeit 10 Stunden, ab Dezember werde sie 40 Stunden wöchentlich arbeiten.

Die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu 1. (Autoreparatur K. und F. GmbH) war mit Gesellschaftsvertrag vom 5. Juni 1997 gegründet worden. Gesellschafter waren B. F. und G. K. Sie übertrugen am 1. Juni 2010 ihre Geschäftsanteile an T. M. (51 v.H.) und die Klägerin (49 v.H.). Die Gesellschaft wurde am 15. Juli 2010 in Fahrzeugtechnik K. & M. GmbH umbenannt. Der Gesellschaftsvertrag (GV) der Beigeladenen zu 1. vom 15. Juli 2010 enthält u.a. folgende Bestimmungen:

"§ 2 Gegenstand des Unternehmens

1. Gegenstand des Unternehmens ist die Autoreparatur und der Handel mit Neu- und Gebrauchtwagen sowie die Vermittlung von Versicherungen und Finanzierungen für Kraftfahrzeuge.

2. Die Gesellschaft ist berechtigt, alle Geschäfte und Maßnahmen zu treffen, die zur Erreichung des Gesellschaftszweckes nützlich oder notwendig erscheinen….

§ 3 Stammkapital

1. Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt 26.000 € (i. W. sechsundzwanzigtausend Euro). …

§ 6 Geschäftsführung und Vertretung

1. Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer...

4. Die Geschäftsführer bedürfen für folgende Angelegenheiten im Innenverhältnis der vorherigen Zustimmung durch Gesellschafterbeschluss mit einer Mehrheit von 75 %:

- die Errichtung und Auflösung von Zweigniederlassungen,

- den Erwerb, die Veräußerung oder Belastung von Beteiligungen an anderen Unternehmen,

- den Erwerb oder Veräußerung von Betrieben oder Betriebsteilen,

- jede Bestellung von Prokuristen, Bevollmächtigten oder Generalhandlungsbevollmächtigten,

- schuldrechtliche Verträge mit Ehegatten der Geschäftsführer, mit Gesellschaftern oder deren Angehörigen,

- der Erwerb, die Veräußerung und die Belastung von Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten,

- die Begründung und Aufhebung von Arbeits- oder Dienstverhältnissen mit einem Jahresgehalt von über 25.00,00 € (i. W. fünfundzwanzigtausend Euro),

- die Begründung von Miet-, Pacht- und Leasingverträgen mit einer Vertragsdauer von mehr als 2 Jahren oder wenn die Kosten der während der Vertragsdauer von der Gesellschaft für den einzelnen Vertrag aufzubringenden Gelder mehr als 5.000,00 € (i. W. fünftausend Euro) betragen,

- Abschluss von Lieferverträgen, Dienstleistungsverträgen, Bezugsverträgen, Kooperationsverträgen und dergleichen mit einer Laufzeit von mehr als sec...

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