Entscheidungsstichwort (Thema)

Ermächtigung und Erlass einer Beitragsforderung zur Kranken- und Pflegeversicherung. Voraussetzungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Ermächtigung an Krankenkassen und Pflegekassen zum Erlass eines gemeinsamen Beitragsbescheids (§ 46 Abs 2 S 4 SGB XI) umfasst auch die Entscheidung über den Erlass von Beitragsforderungen in einem gemeinsamen Bescheid (wie LSG Essen vom 7.2.2018 - L 1 KR 910/16).

2. Ein Versicherter genügt seiner Anzeigepflicht nach § 256a Abs 1 SGB V auch dann, wenn er die Anzeige erst auf Nachfrage durch die Krankenkasse auf dem ihm zugesandten Formular vornimmt (aA LSG Darmstadt vom 10.8.2017 - L 1 KR 546/16).

3. Der Erlass von Beitragsschulden nach § 256a Abs 2 SGB V setzt nicht in jedem Fall voraus, dass das Mitglied während des Nacherhebungszeitraums keinerlei Leistungen in Anspruch genommen hat (wie LSG Erfurt vom 18.10.2018 - L 6 KR 264/15).

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 15. Februar 2016 geändert. Die Beklagten werden unter Abänderung des Bescheids vom 3. Juni 2013, abgeändert durch Bescheid vom 25. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Februar 2014 verpflichtet, über den Antrag des Klägers auf Erlass von Beiträgen, Säumniszuschlägen und sonstigen Kosten, die auf dem Versicherungszeitraum vom 1. November 2008 bis 30. Juni 2009 beruhen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.

Die Beklagten tragen ⅓ der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist im Berufungsverfahren noch streitig, ob die Beklagten über den Antrag des Klägers auf Erlass von Beitragsschulden, Säumniszuschlägen und sonstigen Kosten zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und zur sozialen Pflegeversicherung (sPV) für die Zeit vom 1. November 2008 bis 30. Juni 2009 neu zu entscheiden haben.

Der 1959 geborene Kläger war als freiberuflich tätiger Rechtsanwalt privat krankenversichert. Dieses Versicherungsverhältnis endete aufgrund des privaten Insolvenzeröffnungsverfahrens zum 1. November 2007. Bis zum 28. Februar 2008 war er nicht kranken- und pflegeversichert. Ab dem 15. März bis 31. Oktober 2008 war er als versicherungspflichtiger Beschäftigter in der GKV und in der sPV bei der …, einer Rechtsvorgängerin der Beklagten zu 1. (im Folgenden einheitlich: Beklagte zu 1.) pflichtversichert. Danach ging er keiner Beschäftigung nach und zahlte keine Beiträge zur GKV und sPV. Er erkundigte sich im Dezember 2008 bei der Beklagten zu 1. nach der Möglichkeit einer freiwilligen Krankenversicherung und erhielt die Unterlagen zur Anmeldung, die er nicht zurücksandte.

Mit Schreiben vom 10. Juni 2009 teilte die Beklagte zu 1. ihm mit, dass er nach dem Ende der Versicherung am 31. Oktober 2008 noch Leistungen in Anspruch genommen habe. Bisher habe sie keine Informationen über den weiteren Versicherungsschutz erhalten. Sie nehme daher an, dass er über keinen Versicherungsschutz verfüge. Sie beabsichtige, ab dem 1. November 2008 die Versicherung für nicht anderweitig versicherte Personen durchzuführen. Er möge die beiliegende Anzeige zur Pflichtversicherung für nicht anderweitig abgesicherte Personen nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) und § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 des Elften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XI) vollständig ausfüllen und zurücksenden. Mit weiterem Schreiben vom 25. Juni 2009 "Anhörung gemäß § 24 SGB X" teilte sie ihm mit, sie beabsichtige, zum Versicherungszeitraum vom 1. November 2008 bis laufend einen Beitragsbescheid zu erlassen. Eine Erklärung über seine Einkünfte in Form der entsprechenden Unterlagen liege bis dato nicht vor. Daher sei der Betrag nach den Gesetzen zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie der Satzung festzulegen. Dieser belaufe sich ab November 2008 auf 303,23 €, ab Januar 2009 auf 628,53 €. Die vom Kläger unterzeichnete Anzeige nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V und § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB XI ging am 1. Juli 2009 bei der Beklagten zu 1. ein.

Mit Bescheiden vom 2. und 16. Juli 2009 setzte die Beklagte zu 1., auch im Namen der Beklagten zu 2., die Beiträge zur GKV und zur sPV fest. Der Gesamtbeitrag betrage ab dem 1. November 2008 monatlich 250,20 €, ab dem 1. Januar 2009 monatlich 340,22 € und ab dem 1. Juli 2009 monatlich 303,19 €. Für die Zeit vom 1. November 2008 bis 31. Mai 2009 ergebe sich eine Nachzahlung in Höhe von 2.071,50 €. Der Kläger zahlte die Beiträge nicht. Danach erfolgten diverse Mahnungen durch die Beklagte zu 1. und die Feststellung des Ruhens der Leistungsansprüche. Die Beklagte zu 1. kündigte Vollstreckungsmaßnahmen an. Im September 2009 teilte der Kläger mit, dass er nach dem Ende seines Versicherungsverhältnisses zum 31. Oktober 2008 keine Leistungen in Anspruch genommen habe. Seit dem 1. November 2008 habe er keine Einnahmen; seit dem 1. November 2007 sei er in Insolvenz. Die Beklagte zu 1. informierte ihn, dass er am 7. und 28. November 2008 Arzne...

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