Entscheidungsstichwort (Thema)

Strafvollstreckung. anwendbares Recht. Jugendstrafe. Freiheitsstrafe. Übertragung der Vollstreckung. Reststrafenaussetzung

 

Leitsatz (amtlich)

Die Aussetzung des Restes einer Jugendstrafe beurteilt sich auch dann nach § 88 JGG und nicht nach § 57 StGB, wenn die Jugendstrafe nach den Vorschriften des Erwachsenenvollzugs vollzogen wird und die Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft abgegeben worden ist.

 

Normenkette

StGB § 57; JGG § 85 Abs. 6, §§ 88, 89a Abs. 3, § 89b; StPO §§ 454, 454b

 

Verfahrensgang

LG Meiningen (Aktenzeichen 4 StVK 885/11)

LG Meiningen (Aktenzeichen 4 StVK 886/11)

 

Tenor

1. Der Beschluss des Landgerichts Meiningen vom 10.11.2011 wird aufgehoben.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Verurteilten fallen der Staatskasse zur Last.

 

Gründe

I. Mit sofort rechtskräftigem Urteil vom 27.4.2009 verurteilte das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Nordhausen den Beschwerdeführer wegen gemeinschaftlichen Diebstahls in fünf Fällen, wobei es in drei Fällen beim Versuch blieb, gemeinschaftlicher Sachbeschädigung, Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Nordhausen vom 25.8.2008 (217 Js 45072/08-32 Ls jug) zu einer Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und acht Monaten (217 Js 50383/08-32 Ls jug).

Mit seit dem 10.3.2011 rechtskräftigem Urteil vom 2.3.2011 verurteilte das Landgericht Mühlhausen den Beschwerdeführer ferner wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr (800 Js 59474/09 7 Ns).

Der Verurteilte befindet sich seit dem 1.11.2009 in Haft.

Mit Beschluss vom 27.4.2011 ordnete das Amtsgericht Arnstadt gemäß § 89a Abs. 1 JGG die Unterbrechung der Jugendstrafe zum Zwecke der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zum 10.3.2011 an. Zugleich ordnete es gemäß § 89b Abs. 1 JGG an, dass die restliche Jugendstrafe nach den Vorschriften des Strafvollzugs für Erwachsene zu vollziehen sei. Außerdem gab es die weitere Vollstreckung gemäß §§ 85 Abs. 6, 89a Abs. 3 JGG an die Staatsanwaltschaft ab (1 VRJs 332/09).

Vom 11.3.2011 bis zum 9.11.2011 wurde die gegen den Verurteilten verhängte Freiheitsstrafe bis zum Ablauf von zwei Dritteln vollzogen. Seit dem 10.11.2011 erfolgt der Weitervollzug der Jugendstrafe. Diese wird am 9.4.2012 zu zwei Dritteln vollstreckt sein.

Die Staatsanwaltschaft Mühlhausen beantragte beim Landgericht Meiningen, zum 9.11.2011 eine vorzeitige Strafrestaussetzung zu prüfen und diese abzulehnen.

Die Justizvollzugsanstalt U sprach sich in ihrer Stellungnahme vom 28.10.2011 gegen eine Reststrafenaussetzung nach § 57 Abs. 1 StGB aus. Der Verurteilte verzichtete auf eine vorzeitige Entlassung gemäß § 57 Abs. 1 StGB.

Mit Beschluss vom 10.11.2011 lehnte das Landgericht Meiningen den Antrag der Staatsanwaltschaft Mühlhausen auf Prüfung der vorzeitigen Strafrestaussetzung zum 9.11.2011 mit der Begründung ab, der gemeinsame Zeitpunkt für eine (amtswegige) Prüfung der Reststrafenaussetzung zur Bewährung sei erst nach Vollstreckung von jeweils zwei Dritteln der verhängten Strafen, das heißt am 9.4.2012, gegeben. Die Entscheidung richte sich ausschließlich nach Erwachsenenstrafrecht. Das Jugendstrafrecht, das eine frühere Prüfung der Aussetzung der Jugendstrafe ermögliche, sei nach der Anordnung, dass die weitere Jugendstrafe nach den Vorschriften des Erwachsenenvollzugs zu vollziehen sei, sowie der Abgabe der weiteren Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft nicht mehr anwendbar.

Gegen diese Entscheidung legte die Staatsanwaltschaft Mühlhausen am 23.11.2011 Beschwerde ein, der das Landgericht Meiningen mit Entscheidung vom nämlichen Tage nicht abhalf.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt in ihrer Stellungnahme vom 14.12.2011, den Beschluss des Landgerichts Meiningen aufzuheben.

II. 1. Gegen den Beschluss, mit dem das Gericht es ablehnt, eine Entscheidung über die Reststrafenaussetzung nach § 454 Abs. 1 StPO zu treffen, ist die einfache Beschwerde nach § 304 Abs. 1 StPO zulässig (Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage, § 454 Rdz. 43 m. w. N.).

Dies gilt auch insoweit, als es das Landgericht abgelehnt hat, über die Aussetzung der Jugendstrafe zu entscheiden. Gemäß § 85 Abs. 6 Satz 2 JGG sind mit der Abgabe der weiteren Vollstreckung an die Staatsanwaltschaft, hier nach §§ 85 Abs. 6, 89a Abs. 3 JGG, die Vorschriften der Strafprozessordnung über die Strafvollstreckung anzuwenden. In formeller Hinsicht richtet sich das weitere Verfahren dementsprechend nach § 454 StPO, mag dort auch ausdrücklich von der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer "Freiheitsstrafe" zur Bewährung die Rede sein.

Die danach statthafte Beschwerde der Staatsanwaltschaft Mühlhausen ist auch im Übrigen zulässig (§ 306 Abs. 1 StPO).

2. Das Rechtsmittel ist begründet.

Das Landgericht Meiningen hat es zu Unrecht abgelehnt, eine Aussetzung der Vollstreckung der restlichen Jugendstrafe nach Verbüßung von mehr als ...

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