Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafaussetzung zur Bewährung: Vollzugslockerungen als Voraussetzungen für die Aussetzung der Reststrafe
Leitsatz (amtlich)
›1. Bei Verbüßung einer längeren Freiheitsstrafe ist die erfolgreiche Gewährung von Vollzugslockerungen zwar regelmäßige, nicht aber zwingende Entlassungsvoraussetzung.
2. Ablehnende Lockerungsentscheidungen der Vollzugsbehörden dürfen nicht ohne Prüfung ihrer inhaltlichen Berechtigung zum Nachteil des Verurteilten verwertet werden.
3. Eine etwaige fehlerhafte Lockerungsverweigerung rechtfertigt jedoch nicht schon für sich die Reststrafenaussetzung, wenn es an einer im Sinne des § 57 StGB günstigen Prognose fehlt.
4. Das Vollstreckungsgericht muss seiner gem. § 57 StGB geforderten Prognose die Situation zugrunde legen, die es im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorfindet. Stehen danach Lockerungen noch aus, so kann das Vollstreckungsgericht gleichwohl im Wege eigenständiger prognostischer Einschätzung zu der Überzeugung gelangen, dass eine hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit künftiger Straffreiheit erst bejaht werden kann, wenn sich die neuen Verhaltensweisen auch und gerade unter Lockerungsbedingungen bestätigt und verfestigt haben (vgl. OLG Frankfurt, NStZ-RR 2001, 311 [313]).‹
Verfahrensgang
LG Erfurt (Beschluss vom 16.01.2006; Aktenzeichen StVK 191/05) |
Gründe
I.
Der Verurteilte ist in dem hier maßgeblichen Zusammenhang wie folgt verurteilt worden:
1. durch Urteil des Amtsgerichts Jena vom 29.06.1995 (Az.: 260 Js 6390/92 - 7 jug. Ls) wegen Geldfälschung in zwei Fällen zu einer Einheitsjugendstrafe von 2 Jahren; die zunächst bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung wurde - nach vorausgegangener Verlängerung der Bewährungszeit - durch Beschluss des Amtsgericht Jena vom 04.04.2000 (Az.: 4 BRs 71/95) wegen neuerlicher Straftaten widerrufen;
2. durch Urteil des Landgerichts Gera vom 28.01.2002 (Az.: 850 Js 7016/00 - 5 KLs) wegen Diebstahls in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen schweren Raubes in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung der mit Urteil des Amtsgerichts Jena vom 22.12.1999(412 Js 6645/98) erkannten Strafen wegen gefährlicher Körperverletzung und gemeinschaftlich versuchter Anstiftung zur Falschaussage zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren.
Seit seiner Festnahme am 29.07.1999 befindet sich der Beschwerdeführer in Haft.
Die derzeit vollstreckte Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Gera war am 31.08.2005 zu 2/3 verbüßt, bei auf den 01.01.2008 notiertem Strafzeitende.
Die Vollstreckung der aus dem erstgenannten Urteil resultierenden Jugendstrafe wurde am 27.01.2002 rückwirkend unterbrochen; 2/3-Zeitpunkt war hier am 22.12.2001 erreicht, als Strafzeitende ist bei vorgesehenem Weitervollzug ab 02.01.2008 der 27.07.2008 notiert.
Einen Antrag auf Entlassung zum Halbstrafenzeitpunkt hat der Beschwerdeführer in der damaligen Anhörung vom 16.11.2004 zurückgenommen.
Mit Beschluss vom 16.01.2006 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Erfurt auf Grundlage einer von der JVA am 16.06.2005 abgegebenen Stellungnahme sowie eines ergänzend gem. § 454 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StPO eingeholten psychologischen Prognosegutachtens des Sachverständigen Dr. med. K. und nach Anhörung des Verurteilten sowie des Gutachters die Reststrafen aus den vorgenannten Urteilen zur Bewährung ausgesetzt.
Die Bewährungszeit wurde auf vier Jahre festgesetzt, der Verurteilte der Aufsicht und Leitung des zuständigen Bewährungshelfers unterstellt, mit 80 Stunden gemeinnütziger Arbeit beauflagt und zur Anzeige etwaiger Wohnungswechsel angewiesen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Gera vom 20.01.2006, die auf eine Fortsetzung der Vollstreckung gerichtet ist.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft ist mit ihrer Stellungnahme vom 15.02.2006 der Beschwerde beigetreten.
II.
Die sofortige Beschwerde ist gem. § 454 Abs. 3 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Sie hat auch in der Sache Erfolg.
Der Senat ist im Ergebnis mit der Staatsanwaltschaft Erfurt der Auffassung, dass die von der Strafvollstreckungskammer bejahten Voraussetzungen einer Reststrafenaussetzung gem. § 57 StGB derzeit beim Beschwerdeführer noch nicht vorliegen.
Im Gegensatz zu § 56 Abs. 1 StGB stellt die nach § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB wie auch § 88 Abs. 1 JGG zu treffende Prognoseentscheidung nicht auf die Erwartung ab, der Verurteilte werde ohne die Einwirkung weiteren Strafvollzuges keine Straftaten mehr begehen. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Haftentlassung bei Abwägung der zu erwartenden Wirkungen des bisherigen Strafvollzuges für das künftige Leben des Verurteilten in Freiheit einerseits und den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit andererseits verantwortet werden kann. Verantwortbar ist die Entlassung erst dann, wenn beim Verurteilten eine echte Bewährungschance feststellbar ist.
Die dahingehende Beurteilung obliegt dem Se...