Entscheidungsstichwort (Thema)
Verteidigung. zweiter Pflichtverteidiger. Ablehnung. Rechtsmittel. Zulässigkeit. Beschwer. Pflichtverteidigung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Ablehnung der Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers ist statthaft.
2. Bei der Bewertung, ob die Voraussetzungen für die Beiordnung eines zweiten Pflichtverteidigers erfüllt sind, ist dem gemäß § 141 Abs. 4 StPO zur Entscheidung berufenen Vorsitzenden ein Beurteilungsspielraum eingeräumt, der erst dann verletzt ist, wenn konkrete Gefahren für die ordnungsgemäße Vertretung des Angeklagten oder den Ablauf der Hauptverhandlung zu besorgen sind und diesen Gefahren anders als durch die Beiordnung eines zweiten Verteidigers nicht begegnet werden kann.
Normenkette
EMRK Art. 6 Abs. 1 S. 1; StPO §§ 140, 141 Abs. 1, 4, § 304 Abs. 1, § 305 S. 1
Verfahrensgang
LG Erfurt (Entscheidung vom 01.09.2011; Aktenzeichen 801 Js 43267/10-1 Ks) |
Tenor
Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.
Gründe
I. Mit der Anklageschrift vom 16.3.2011 legt die Staatsanwaltschaft Gera dem Angeklagten ein Vergehen der Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 4, 5, 25 Abs. 2, 27 StGB zur Last. Mit Beschluss vom 19.7.2011 hat das Landgericht Erfurt unter Zulassung der Anklage das Hauptverfahren eröffnet und dem Angeklagten gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO Rechtsanwalt J in B zum Verteidiger bestellt.
Gegen den Angeklagten und drei Mitangeklagte findet seit dem 8.9.2011 die Hauptverhandlung statt.
Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 22.8.2011 hat der Angeklagte beantragt, ihm als zweiten Pflichtverteidiger Rechtsanwalt L in Z beizuordnen.
Diesen Antrag hat der Vorsitzende der 1. Strafkammer des Landgerichts Erfurt mit Beschluss vom 1.9.2011 abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der durch Schriftsatz seines Verteidigers vom 1.9.2011, bei Gericht eingegangen am 2.9.2011, eingelegten Beschwerde.
Der Beschwerde hat das Landgericht durch Beschluss vom 5.9.2011 nicht abgeholfen, sondern diese dem Thüringer Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
In ihrer Zuschrift an den Senat vom 16.9.2011 hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.
Hierauf hat der Angeklagte durch den am 26.9.2011 eingegangenen Schriftsatz seines Verteidigers vom selben Tage erwidert und mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 4.10.2011, eingegangen bei Gericht am 5.10.2011, zur Beschwerde weiter ausgeführt.
II. 1. Die Beschwerde ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthaft und auch zulässig eingelegt.
§ 305 StPO steht ihrer Statthaftigkeit schon entgegen. Es entspricht mittlerweile herrschender Meinung, dass die Ablehnung der Bestellung eines Verteidigers Rechtswirkungen entfaltet, die über die bloße Vorbereitung des späteren Urteils hinausgehen (Meyer-Goßner, StPO, § 305 Rdnr.5).
Dem Rechtsmittel fehlt es auch nicht an der Beschwer. Die Bestellung eines Pflichtverteidigers neben einem Wahlverteidiger oder neben einem bereits beigeordneten Pflichtverteidiger dient zwar in erster Linie dazu, den reibungslosen Fortgang des Verfahrens zu sichern (OLG München NJW 1981, 2208 m.w.N.). Eine solche Bestellung erfolgt aber auch in Erfüllung des Beschleunigungsgebotes und deshalb auch zum Schutze des Beschuldigten gemäß Art. 6 Abs. 1 MRK (OLG München aaO. m.w.N.).
2. In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg.
Die Beiordnung mehrerer Pflichtverteidiger ist ausnahmsweise dann gefordert, wenn entweder aufgrund der außergewöhnlichen Schwierigkeit bzw. des außergewöhnlichen Umfangs des Verfahrensstoffes oder der außergewöhnlichen Dauer der Hauptverhandlung dafür ein unabweisbares Bedürfnis besteht, um eine ausreichende Verteidigung zu gewährleisten (OLG Karlsruhe StraFO 2009, 5 ff. m.w.N.). Dabei kommt unter dem Gesichtspunkt des Umfangs und der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Bestellung eines Zweitverteidigers insbesondere dann in Betracht, wenn der Verfahrensstoff nur durch ein arbeitsteiliges Vorgehen zweier Verteidiger ausreichend beherrscht werden kann (OLG Karlsruhe aaO. m.w.N.).
Im Hinblick auf die erwartete Dauer der Hauptverhandlung ist dagegen zu fragen, ob bei einer unvorhergesehenen Verhinderung des schon bestellten Pflichtverteidigers eine sachgerechte Verteidigung nicht durch andere gesetzliche Reaktionsweisen (etwa Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers nach Eintritt einer möglichen Verhinderung), sondern nur durch die Vertretung durch einen bereits in das Verfahren eingearbeiteten und kontinuierlich in der Hauptverhandlung anwesend gewesenen Verteidiger sichergestellt werden kann (OLG Karlsruhe, aaO. m.w.N.).
Bei der Bewertung, ob die genannten Voraussetzungen vorliegen, ist dem gemäß § 141 Abs. 4 StPO zur Entscheidung berufenen Vorsitzenden ein Beurteilungsspielraum eingeräumt (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 141 Rn. 9 m. w. N.), der erst dann verletzt ist, wenn konkrete Gefahren für die ordnungsgemäße Vertretung des Angeklagten oder den Ablauf der Hauptverh...