Verfahrensgang
AG Erfurt (Entscheidung vom 03.02.2022; Aktenzeichen 64 OWi 543 Js 200306/21) |
Tenor
1. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Erfurt vom 03.02.2022 (64 OWi 543 Js 200306/21) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Das Verfahren wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Erfurt zurückverwiesen,
Gründe
I.
Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG statthafte und auch im Übrigen nach § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Sachrüge der Verletzung materiellen Rechts hat im Ergebnis zumindest vorläufigen Erfolg, weil - entgegen der Auffassung der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 05.05.2022 - die Tatfeststellungen des Amtsgerichts den objektiven Tatbestand des § 115 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. OWiG nicht erfüllen.
Dabei kommt es weder auf die Ausführungen des Verteidigers zur Begründung der Sachrüge noch auf die zugleich erhobenen Verfahrensrügen an.
1. Nach den tatrichterlichen Feststellungen "erhielt der Betroffene am oder kurz vor dem 14.01.2021 ein als Verteidigerpost' gekennzeichnetes Konvolut von Post des Untersuchungsgefangenen ..." - seinem damaligen Mandanten -, darunter einen an die Ehefrau des Beschuldigten ... adressierten und bislang nicht der Haftpostkontrolle unterzogenen Brief. Obwohl der Betroffene über die zuvor richterlich angeordnete Haftpostkontrolle unterrichtet und der betreffende Brief nicht als Verteidigerpost einzustufen gewesen sei, habe er diesen auf dem Postweg (entweder durch eigenhändigen Einwurf in einen Briefkasten oder durch Versendung mit übriger Kanzleipost) an die Ehefrau seines Mandanten weitergeleitet, anstatt den Brief der Haftanstalt oder der Staatsanwaltschaft zur Haftpostkontrolle zuzuleiten. Zwar hat das Amtsgericht dabei keine Anhaltspunkte auf eine Absprache zwischen dem Betroffenen und dem Beschuldigten festgestellt (nähere diesbezügliche Darlegungen zur Beweislage sind dem Urteil nicht zu entnehmen), doch komme es hierauf rechtlich nicht an. Das in § 115 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. OWiG enthaltene Merkmal des "Sich-Übermitteln-Lassens" sei bereits mit der Entgegennahme von Sachen oder Nachrichten verwirklicht, die von einem Gefangenen aus dem Anstalts- oder Gewahrsamsbereich stammen. Den zur Tatbegehung erforderlichen Vorsatz habe der Betroffene spätestens in dem Zeitpunkt gefasst, als er die "falsche Verteidigerpost" erkannt und nicht der Postkontrolle durch die ausführende Behörde zugeführt habe,
a) Die vom Amtsgericht vertretene Rechtsauffassung, der objektive Tatbestand des § 115 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. OWiG sei bereits dann erfüllt, wenn ein vom Beschuldigten verfasstes, der Haftpostkontrolle unterliegendes Schreiben vom Täter entgegengenommen und nicht an die zuständige Behörde weitergeleitet werde, teilt der Senat nicht. Eine solche Gesetzesauslegung ist bereits mit dem Wortlaut ("sich von ihm übermitteln lässt") der Bestimmung nicht vereinbar. Dabei unterstellt der Senat vorläufig die Richtigkeit der - mit der Rechtsbeschwerde in tatsächlicher Hinsicht in Abrede gestellten - Feststellungen des Amtsgerichts, wonach der Betroffene im Rahmen der internen Kanzleiabläufe für die Weiterleitung des als Verteidigerpost gekennzeichneten Briefes an die Ehefrau des Beschuldigten persönlich verantwortlich war.
Nach § 115 Abs. 1 Nr. 1 OWiG handelt ordnungswidrig, wer unbefugt einem Gefangenen Sachen oder Nachrichten übermittelt oder sich von ihm übermitteln lässt.
aa) Das Gesetz kennt danach zwei Handlungsalternativen des unerlaubten Verkehrs mit Gefangenen, zum einen die Versendung von Sachen in die Haft hinein ("einem Gefangenen übermittelt"), zum anderen den Empfang von Sachen aus der Haft heraus ("sich von ihm übermitteln lässt). Zu beachten ist, dass in beiden Konstellationen ein bereits in der gesetzlichen Überschrift angelegtes Zusammenwirken zwischen dem Gefangenen und dem Täter ("Verkehr mit Gefangenen") in irgendeiner Weise manifest werden muss. So ist es in der zweiten Tatbestandsalternative erforderlich, dass der Gefangene ("von ihm") die Sendung in Zielrichtung des Täters auf den Weg bringt und dieser die Übermittlung auch zulässt ("sich übermitteln lässt"). Nicht ausreichend wäre aus Sicht des Senats daher etwa das eigenmächtige Herausschmuggeln und Weiterleiten eines vom Häftling verfassten Briefes durch den Täter aus der Haftanstalt ohne Wissen des Häftlings selbst, d.h. die bloße Vermittlung eines Verkehrs mit einem Dritten. Denn das Gesetz enthält gerade keine eigene Tatbestandsvariante im Sinne eines bloßen Übermittelns von Sachen oder Nachrichten des Gefangenen "an einen anderen". Nicht zwingend erforderlich ist zwar eine unmittelbare Kommunikation zwischen Täter und Gefangenen. Ausreichend, jedoch auch erforderlich ist aber eine zumindest konkludent geäußerte übereinstimmende Willensbetätigung. Wirft beispielsweise der Häftling einen Brief über die Mauer der Untersuchungshaftanstalt, wo ein unbekannter ...