Entscheidungsstichwort (Thema)
Kenntniserlangung eines Rechtsanwalts eines Schriftstückes
Leitsatz (amtlich)
Die Beweiskraft eines anwaltlichen Empfangsbekenntnisses entfällt, wenn sein Inhalt vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben richtig sein könnten, Zustellungsdatum ist der Tag, an dem der Rechtsanwalt als Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks Kenntnis erlangt hat und es empfangsbereit entgegen genommen hat.
Nach Verfahrensrecht ist der Anwalt nicht verpflichtet, eine Zustellung nach § 174 Abs. 1 ZPO entgegen zu nehmen.
Normenkette
ZPO § 85 Abs. 4, § 174 Abs. 4, § 418 Abs. 1-2, § 416; BRAO § 53 Abs. 1, 2 S. 1, Abs. 7
Verfahrensgang
AG Sondershausen (Aktenzeichen 2 F 435/12) |
Tenor
Der Beteiligten zu 2.) wird Wiedereinsetzung hinsichtlich der Versäumung der Beschwerdefrist gewährt.
Gründe
I. Das AG hat durch Beschluss vom 9.1.2013 dem Antragsteller die Befugnis übertragen, den Namen des Kindes L. P., geboren am 21.10.1999, in "Sch." zu ändern. Das AG hat die Kosten des Verfahrens gegeneinander aufgehoben. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Staatskasse zur Last. Der Beschluss wurde der Bevollmächtigten der Kindesmutter am 6.3.2013 zugerstellt.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Freistaates Thüringen vom 11.4.2013, eingegangen beim AG am 16.4.2013, die anführt, im Rahmen des § 81 FamFG seien der Staatskasse regelmäßig keine Kosten aufzuerlegen. Insbesondere sei die Staatskasse nicht Dritte i.S.d. § 81 Abs. 4 FamFG.
Die Kindesmutter beabsichtigt, den Beschluss des AG mit der Beschwerde anzugreifen und hat hierfür mit Schriftsatz vom 28.3.2013, eingegangen beim AG am 5.4.2013, um Verfahrenskostenhilfe ersucht.
Der Senat hat der Kindesmutter mit Beschluss vom 6.8.2013 Verfahrenkostenhilfe bewilligt. Das durch die Bevollmächtigte der Kindesmutter unterzeichnete Empfangsbekenntnis trägt den Eingangsstempel vom 9.8.2013 und wurde am 19.8.2013 an das OLG gefaxt.
Die Kindesmutter hat mit Schriftsatz vom 28.8.2013, beim OLG eingegangen am 28.8.2013, Wiedereinsetzung hinsichtlich der Versäumung der Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist beantragt und gleichzeitig Beschwerde eingelegt.
In der Begründung wird angeführt, die allein sachbearbeitende Rechtsanwältin habe vom Beschluss des OLG erst am 19.8.2013 nach Rückkehr aus ihrem Jahresurlaub Kenntnis erlangt.
Der Senat hat mit Verfügung vom 30.8.2013, vorab per Fax, darauf hingewiesen, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung sowie die Beschwerde am 28.8.2013 beim OLG Jena eingegangen sind.
Bei ordnungsgemäßer Verfahrensführung wären der Antrag auf Wiedereinsetzung beim OLG und die Beschwerde beim AG einzureichen gewesen. Da die Frist zur Beschwerdeeinlegung beim AG zwei Wochen beträgt (§ 18 Abs. 3 S. 2 FamFG; Zöller/Geimer, ZPO, 30. Aufl., § 18 FamFG, Rz. 1) und unter Zugrundelegung einer Kenntniserlangung am 19.8.2013 am 2.9.2013 abliefe, sei eine Weiterleitung des Schriftsatzes vom 28.8.2013 innerhalb der Beschwerdefrist unter Zugrundelegung der üblichen Postlaufzeiten an das AG voraussichtlich nicht mehr möglich.
Es werde daher angeraten, die Beschwerdeeinlegung beim AG bis zum 2.9.2013 nachzuholen. Dem ist die Vertreterin der Kindesmutter gegenüber dem AG am 30.8.2013 nachgekommen.
Die Bevollmächtigte der Beteiligten zu 2.) führt unter Bezugnahme auf Buchungsbestätigungen und eine eidesstattlichen Versicherung ihres Ehemannes vom 6.12.2013 an, sie sei vom 6.8.2013 bis einschließlich 18.8.2013 urlaubsabwesend gewesen. Der Beschluss habe ihr Büro am 9.8.2013 erreicht. Zu diesem Zeitpunkt habe sie sich gerade in W. aufgehalten. Entsprechend habe ihre Sekretärin den Beschluss wie auch das Empfangsbekenntnis mit einem Posteingangsstempel versehen.
Die Bevollmächtigte der Beteiligten zu 2.) trägt unter Bezugnahme auf eine eidesstattliche Versicherung ihres Kollegen vom 12.11.2013 vor, sie sei neben ihrem eigenen Büro für Herrn Rechtsanwalt K. als freie Mitarbeiterin tätig. Man vertrete sich ständig. Der jeweils andere sei vollständig vertretungsbefugt, auch in Bezug auf Rechtsmitteleinlegungen.
Ihre Rechtsanwaltsangestellte Frau S. sei mit dem Komplex Fristen - Fristenberechnung - Rechtsmittelfristen vertraut. Sie sei davon ausgegangen, dass es auf die Kenntniserlangung des Beschlusses durch die Bevollmächtigte ankomme. Den Vertreter habe sie insoweit nicht kontaktiert. Insoweit werde Bezug genommen auf deren eidesstattliche Versicherung vom 12.11.2013.
Die Beteiligte zu 2.) beantragt, ihr Wiedereinsetzung in die Beschwerde- und Beschwerdebegründungsfrist zu bewilligen.
Der Beteiligte zu 1.) beantragt, den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückzuweisen.
Zur Begründung wird angeführt, die Vertreterin der Beteiligten zu 2.) habe ihre Angaben zur Wiedereinsetzung nicht glaubhaft gemacht. Es könne nicht auf die Kenntniserlangung abgestellt werden. Auch wenn die Bevollmächtigte der Antragsgegnerin vortrage, dass sie urlaubsbedingt abwesend gewesen sei, so sei sie aufgrund der berufsrechtlichen Vorschriften verp...