Entscheidungsstichwort (Thema)
Wegfall der Beweiswirkung eines anwaltlichen Empfangsbekenntnisses; Zustellung eines Schriftstücks mit anwaltlichem Empfangsbekenntnisses
Leitsatz (amtlich)
1. Die Beweiskraft eines anwaltlichen Empfangsbekenntnisses entfällt, wenn sein Inhalt vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben richtig sein könnten.
2. Zustellungsdatum ist der Tag, an dem der Rechtsanwalt als Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks Kenntnis erlangt hat und es empfangsbereit entgegen genommen hat.
Normenkette
ZPO §§ 172, 174 Abs. 4, §§ 616, 418 Abs. 1-2
Verfahrensgang
AG Mühlhausen (Beschluss vom 05.05.2014; Aktenzeichen 1 F 470/10) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin vom 12.3.2015 gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Mühlhausen vom 5.5.2014 - 1 F 470/10, Nichtabhilfeentscheidung vom 16.3.2015, wird der Beschluss aufgehoben.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin erhielt durch Beschluss des AG vom 5.8.2010 ratenfreie Verfahrenkostenhilfe zur Rechtsverteidigung gegen eine Anordnung im Gewaltschutzverfahren.
Mit Schreiben des AG vom 11.2.2014 wurde die Antragsgegnerin aufgefordert, mitzuteilen, ob sich ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, die der Bewilligung zu Grunde lagen, geändert hätten. Nach erfolgloser Mahnung vom 11.3.2014 hat das AG mit Beschluss vom 5.5.2014 den Bewilligungsbeschluss vom 5.8.2010 aufgehoben.
Der Beschluss vom 5.5.2014 wurde der Kanzlei des Bevollmächtigten der Antragsgegnerin am 13.5.2014 zugestellt. Das Empfangsbekenntnis wurde jedoch nicht durch den Bevollmächtigten unterzeichnet, sondern von seiner Rechtsanwaltsfachangestellten mit "i. A. M.". Sie legte den Posteingang sodann in das Archiv. Der mittels privaten Zustellservice an die Antragsgegnerin versandte Brief kann später im Nachgang als unzustellbar zurück und wurde ebenfalls ohne Vorlage an den Verfahrensbevollmächtigten durch Frau M. zur Archivierung verfügt.
Die Antragsgegnerin hat mit am 12.3.2015 beim AG eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt und hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Die Antragsgegnerin erhalte weiterhin Leistungen nach SGB II. Es sei keine Veränderung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingetreten.
II. Die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin ist gemäß §§ 76 Abs. 2 FamFG, 567 Abs. 1 ZPO, 11 Abs. 1 RPflG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere wurde die Frist gemäß §§ 76 Abs. 2 FamFG, 569 Abs. 1 S. 1, 127 Abs. 2 S. 3 ZPO mit Eingang der Beschwerde am 12.3.2015 gewahrt.
Zwar ist auf dem Empfangsbekenntnis über die Zustellung des Beschlusses des AG vom 5.5.2014 das (Eingangs-)Datum "13.5.2014" gestempelt und ist der Beschwerdeschriftsatz erst am 12.3.2015 beim AG eingegangen, so dass bei Zugrundelegung dieses (Eingangs-)Datums die Beschwerde verspätet eingelegt worden wäre.
Ein derartiges Empfangsbekenntnis erbringt als Privaturkunde im Sinne von § 416 ZPO (BGH, NJW 1990, 2125) grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung (BGH, NJW 2006, 1206 Rn. 8). Jedoch hat die Antragsgegnerin den durch das Empfangsbekenntnis über die vereinfachte Zustellung an einen Rechtsanwalt gemäß § 174 Abs. 4 ZPO begründeten (vollen) Beweis über das Datum der Zustellung gemäß § 418 Abs. 1 ZPO wie erforderlich (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7.10.1993 - 4 B 166/93 -, juris Rn. 7 f.; MDR 1994, 302) durch den Beweis der Unrichtigkeit dieses (Eingangs-)Datums nach § 418 Abs. 2 ZPO zur Überzeugung des Senats widerlegt.
Die Beweiskraft eines anwaltlichen Empfangsbekenntnisses entfällt, wenn sein Inhalt vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angaben richtig sein könnten (BGH, NJW 2012, 2117 - 2118). So liegt es hier.
Das Empfangsbekenntnis wurde nicht vom Bevollmächtigen der Antragsgegnerin unterzeichnet. Der Namensstempel enthält die Unterschrift "i. A. M." der Kanzleiangestellten. Das zuzustellende Schriftstück ist damit nicht am 13.5.2014 zugestellt worden. Für die Wirksamkeit bzw. das Datum der (vereinfachten) Zustellung an einen Rechtsanwalt kommt es nicht auf den Eingang in dessen Kanzlei an, sondern darauf, dass dieser "von dem Zugang des zuzustellenden Schriftstücks Kenntnis erlangt und bereit ist, die Zustellung entgegenzunehmen" (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.5.1984 - 3 C 48.83 -, juris Rz. 21 m.w.N.). Die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis ist dann als bewirkt anzusehen, wenn der Rechtsanwalt das ihm zugestellte Schriftstück mit dem Willen entgegengenommen hat, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen, und dies auch durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses beurkundet. Zustellungsdatum ist also der Tag, an dem der Rechtsanwalt als Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks Kenntnis erlangt und es empfangsbereit entgegengenommen hat (BGH, NJW 2012, 2117-2118; Th...