Verfahrensgang

LG Meiningen (Entscheidung vom 17.03.2010; Aktenzeichen Reha 169/09)

 

Tenor

1. Der Beschluss der 5. Strafkammer - Rehabilitierungskammer - des Landgerichts Meiningen vom 17.03.2010 wird aufgehoben.

2. a) Die vorläufige Festnahme am 22.03.1975 und nachfolgende Heimunterbringung auf Anweisung des Kreisstaatsanwalts des Kreises Ilmenau im Durchgangsheim S ab demselben Tag,

b) die Verfügung über die vorläufige Heimeinweisung durch das Referat Jugendhilfe des Rates des Kreises Ilmenau vom 26.03.1975 und

c) der Beschluss des Jugendhilfeausschusses des Rates des Kreises Ilmenau über die endgültige Heimerziehung vom 04.04.1975

werden für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben.

Der Betroffene wird insoweit rehablitiert.

3. Es wird festgestellt, dass der Betroffene in der Zeit vom 22.03.1975 bis zum 01.04.1977 zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten hat.

4. Der Betroffene hat Anspruch auf Erstattung der Kosten der durchgeführten Verfahren und der ihm dort entstandenen Auslagen im Verhältnis von 2 Mark der DDR zu einer DM.

5. Verfahrenskosten werden nicht erhoben.

Die notwendigen Auslagen des Antragstellers fallen der Staatskasse zur Last.

 

Gründe

I. Der Antragsteller begehrt seine Rehabilitierung wegen der vom 22.03. bis 17.04.1975 erfolgten Unterbringung im Durchgangsheim S sowie für die vom 18.04.1975 bis 01.04.1977 erfolgte Unterbringung im Jugendwerkhof W.

Der Betroffene wurde am 22.03.1975 im Kreis Ilmenau festgenommen, weil er beabsichtigte, mit dem Volljährigen B, der später wegen einer Straftat nach § 213 StGB/DDR zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, die DDR ungesetzlich zu verlassen. Auf Anweisung des Kreisstaatsanwalts des Kreises Ilmenau wurde der Betroffene sodann im Durchgangsheim S untergebracht. Mit Verfügung vom 26.03.1975 seitens des Referates Jugendhilfe des Kreises Ilmenau wurde die vorläufige Heimeinweisung angeordnet. der Betroffene verblieb im Durchgangsheim S. Danach erfolgte durch Beschluss des Jugendhilfeausschusses des Rates des Kreises Ilmenau vom 04.04.1975 die Entscheidung über die endgültige Heimerziehung und die Unterbringung des Betroffenen im Jugendwerkhof W, wohin er am 18.04.1975 verlegt wurde. Am 01.04.1977 wurde der Betroffene aus dem Jugendwerkhof entlassen.

Der Betroffene hat hinsichtlich des Aufenthaltes im Durchgangsheim S und im Jugendwerkhof W umfassend seine strafrechtliche Rehabilitierung beantragt.

Das Landgericht Meiningen hat diesen Rehabilitierungsantrag mit Beschluss vom 17.03.2010 zurückgewiesen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Betroffene mit seiner form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde, mit der er weiterhin seine vollständige Rehabilitierung begehrt.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift an den Senat vom 02.08.2010 beantragt, dem Rehabilitierungsantrag des Betroffenen zu entsprechen.

II. Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für eine strafrechtliche Rehabilitierung liegen hinsichtlich der erfolgten Anordnung der Heimerziehung vor.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 StrRehaG finden die Vorschriften des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes auch auf eine außerhalb eines Strafverfahrens ergangene behördliche Entscheidung, mit der eine Freiheitsentziehung angeordnet wurde, entsprechende Anwendung. Der Freiheitsentziehung wird ein Leben unter haftähnlichen Bedingungen gleichgestellt, § 2 Abs. 2 StrRehaG.

Wie dem Senat aus weiteren Verfahren gerichtsbekannt ist (vgl. Beschlüsse vom 28.12.2007, 1 Ws Reha 12/07 und vom 21.07.2008, 1 Ws Reha 10/08) und sich zudem auch eindeutig aus den Darlegungen des Betroffenen ergibt, fand der Aufenthalt in Durchgangsheimen, hier im Durchgangsheim S, unter haftähnlichen Bedingungen statt. Ein Verlassen des Objekts war nicht möglich, da es entsprechend gesichert und ständig verschlossen war. Es gab einen streng festgelegten Tagesablauf und auch Arrestzellen, in denen der Betroffene zeitweise untergebracht war.

Davon, dass der Aufenthalt in einem Jugendwerkhof der DDR grundsätzlich als Freiheitsentziehung im Sinne des § 2 StrRehaG anzusehen ist, geht der Senat in ständiger Rechtsprechung aus (vgl. Beschlüsse vom 20.04.2006, 1 Ws Reha 12/06, 28.12.2007, 1 Ws Reha 12/07 und vom 21.07.2008, 1 Ws Reha 10/08).

Die angeordnete Unterbringung im Durchgangsheim S und im Jugendwerkhof W muss auch als rechtsstaatswidrig angesehen werden.

Zwar wurde der Betroffene seit dem Jahre 1970 durch Einrichtungen der Jugendhilfe betreut, befand sich teilweise auch in Heimerziehung, die zuletzt mit Beschluss des Jugendhilfeausschusses des Rates des Kreises Ilmenau vom 19.06.1974 auch erneut angeordnet und erst durch Beschluss vom 23.01.1975 wieder ausgesetzt worden war. Ende 1974/Anfang 1975 hatte sich der Betroffene jedoch während seiner Ausbildung im VEB S persönlich gefestigt, so dass sein Lehrbetrieb vorschlug, die angeordnete Heimerziehung aufzuheben.

Die erneute Anordnung der - zunächst vorläufigen - Heimunterbringung erfolgte dagegen ersichtlich als Reaktion auf den Versuch des...

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