Leitsatz (amtlich)

Erfolgte die Unterbringung in einem Jugenddurchgangsheim und die Einweisung in einen Jugendwerkhof als Reaktion auf den Versuch, die DDR zu verlassen, dienten diese Maßnahmen der politischen Verfolgung.

Der Aufenthalt in einem Jugendwerkhof der DDR und einem Jugenddurchgangsheim ist als Freiheitsentziehung i.S.d. § 2 StrRehaG anzusehen.

Als Freiheitsentziehung i.S.v. § 12 StrRehaG kann nur die tatsächliche Unterbringung unter haftähnlichen Bedingungen angesehen werden, da nur insoweit die Unterbringung des Betroffenen auf einen geschlossenen Raum oder Bereich beschränkt oder seine Bewegungsfreiheit im Übrigen ausgeschlossen war.

 

Normenkette

StrRehaG § 1 Abs. 1 S. 1, §§ 2, 12 Abs. 2 Nr. 3

 

Verfahrensgang

LG Gera (Entscheidung vom 12.12.2007; Aktenzeichen 6 Reha 44/07)

 

Tenor

1. Der Beschluss der 6. Strafkammer - Kammer für Rehabilitierungssachen - des Landgerichts Gera vom 12.12.2007 wird aufgehoben.

2. Die durch Verfügung des Referats Jugendhilfe der Stadt Jena vom 07.11.1979 angeordnete Heimerziehung sowie die erfolgte Einweisung in das Jugenddurchgangsheim Gera und in den geschlossenen Jugendwerkhof G, Außenstelle E, werden für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben.

3. Es wird festgestellt, dass der Betroffene

a) vom 06.11.1979 bis 08.04.1980 sowie

b) vom 09.12.1980 bis 28.03.1981

zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten hat.

4. Der Betroffene hat Anspruch auf Erstattung der Kosten der durchgeführten Verfahren und der ihm dort entstandenen Auslagen im Verhältnis von 2,00 M der DDR zu 1,00 DM.

5. Verfahrenskosten werden nicht erhoben.

Die notwendigen Auslagen des Antragstellers fallen der Staatskasse zur Last.

 

Gründe

I. Der Antragsteller begehrt seine Rehabilitierung wegen der vom 06.11.1979 bis 20.01.1980 erfolgten Unterbringung im Durchgangsheim G sowie für die vom 21.01.1980 bis 08.04.1980 und vom 09.12.1980 bis 28.03.1981 erfolgte Unterbringung im Jugendwerkhof G/Außenstelle E.

Der Betroffene wurde am 06.11.1979, im Alter von 15 Jahren, im Grenzgebiet Worbis bei dem Versuch aufgegriffen, die DDR ungesetzlich zu verlassen. Mit Verfügung vom 07.11.1979 des Referats Jugendhilfe der Stadt Jena wurde die Heimerziehung des Antragstellers angeordnet und es erfolgte zunächst die umgehende Einweisung in das Jugenddurchgangsheim G und ab dem 21.01.1980 die Unterbringung im Jugendwerkhof G/Außenstelle E.

Seit dem 09.04.1980 befand sich der Antragsteller sodann in Untersuchungshaft, nachdem er erneut versucht hatte, in die Bundesrepublik Deutschland zu gelangen. Er wurde deshalb mit Urteil des Kreisgerichts Erfurt-Nord vom 20.08.1980 (Az.: S 100/80) wegen versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts - Vergehen gemäß § 213 Abs. 1 und 4 StGB/DDR - zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Seine gegen dieses Urteil eingelegte Berufung wurde durch Beschluss des Bezirksgerichts Erfurt vom 09.09.1980 (Az.: 1 BSB 447/80) verworfen. Wegen dieser Verurteilung wurde er mit Beschluss des Bezirksgerichts Erfurt vom 23.11.1992 (Az.: 1141/92) rehabilitiert und es wurde in dem Beschluss festgestellt, dass die zu Unrecht erlittene Freiheitsentziehung vom 09.04.1980 bis 08.12.1980 gedauert hat.

Nach seiner Entlassung aus der Strafhaft kam der Antragsteller am 09.12.1980 in den Jugendwerkhof zurück.

Am 29.03.1981 erfolgte die erneute Festnahme des Betroffene wegen des Verdachts des versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts, nachdem sich dieser bei einem Ausgang unerlaubt von der Jugendwerkhofgruppe entfernt und per Anhalter bis Freienhufen gefahren war, wo er gestellt wurde. Das Verfahren gemäß § 213 StGB/DDR wurde zwar eingestellt, der Betroffene aber mit Urteil des Kreisgerichts Erfurt-Nord vom 02.07.1981 wegen öffentlicher Herabwürdigung - Vergehen gemäß §§ 220 Abs. 1, 2 und 3, 65, 66 StGB/DDR - zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Die dieser Verurteilung zugrunde liegende Tat hatte der Betroffene am 15.04.1981, während er sich in Untersuchungshaft befand, begangen. Seine gegen diese Entscheidung eingelegte Berufung wurde vom Bezirksgericht Erfurt mit Beschluss vom 22.07.1981 (Az.: 2 BSB 293/81) verworfen. Auch hinsichtlich dieser Verurteilung ist die vollständige Rehabilitierung des Betroffenen - durch Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 11.10.1994 (Az.: II Reha 415/94) - erfolgt und es wurde festgestellt, dass er in der Zeit vom 29.03.1981 bis 28.10.1981 zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten hat.

Der Betroffene hat hinsichtlich des Aufenthalts im Durchgangsheim G und im Jugendwerk G/Außenstelle E umfassend seine strafrechtliche Rehabilitierung beantragt.

Das Landgericht Gera hat diesen Rehabilitierungsantrag mit Beschluss vom 12.12.2007 zurückgewiesen.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Betroffene mit seiner form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde, mit der er weiterhin seine vollständige Rehabilitierung begehrt.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift an den Senat vom 05.05.2008 beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.

II. Das zulässi...

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