Leitsatz (amtlich)

1. Die Prüfung, ob ein Anspruch auf eine Pauschgebühr nach § 51 RVG (für das gesamte Verfahren oder einzelne Verfahrensabschnitte) besteht, erfolgt durch den Senat - wie auch im Verfahren nach § 99 BRAGO - regelmäßig in der Weise, dass untersucht wird, inwieweit die besondere Schwierigkeit und/oder der besondere Umfang der anwaltlichen Tätigkeit hinsichtlich einzelner Gebührenanteile zu berücksichtigen ist. Bei außergewöhnlich zeitaufwändigen Verfahren, u.a. umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren bzw. Indizienprozessen, kann im Einzelfall auch eine pauschale Betrachtung angezeigt sein.

2. Die Grundgebühr nach Nr. 4100 RVG-VV soll den Aufwand honorieren, der einmalig mit der Übernahme des Mandats entsteht, also das erste Gespräch mit dem Mandanten und die Beschaffung der erforderlichen Informationen (BT-Drucks. 15/1971, 222).

Dazu gehört vor allem auch die erste Akteneinsicht nach § 147 StPO.

 

Normenkette

RVG § 51; RVG-VV Nr. 4100

 

Verfahrensgang

AG Sonneberg (Aktenzeichen 380 Js 16506/03 (I/III/1))

 

Tenor

Dem Antragsteller wird für das Verfahren im ersten Rechtszug eine Pauschgebühr i.H.v. 660 Euro (netto) bewilligt.

Die Pauschgebühr tritt an Stelle der Gebühren nach Nrn. 4100, 4106, 4108, 4110 RVG-VV.

Der weiter gehende Antrag wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Rechtsanwalt Sch. ist dem Angeklagten durch Beschluss des AG Sonneberg v. 15.7.2004, mithin nach der am 25.6.2004 erfolgten Anklageerhebung, zum Pflichtverteidiger bestellt worden. Mit Anklageschrift v. 16.6.2004 war dem auf freiem Fuß befindlichen Angeklagten zur Last gelegt worden, sich des Betruges in 9 Fällen, davon in 4 Fällen tateinheitlich mit Urkundenfälschung, versuchten Betruges in einem Fall sowie der Urkundenfälschung in 16 Fällen strafbar gemacht zu haben. Der Antragsteller hat den Angeklagten im Hauptverhandlungstermin vor dem AG Sonneberg am 2.8.2004 vertreten.

Mit Schriftsatz v. 3.8.2004 hat der Verteidiger beantragt, "gem. § 42 RVG sowohl die Grundgebühr als auch die Terminsgebühr auf das Doppelte zu erhöhen".

Der Antrag auf Festsetzung einer Pauschgebühr v. 3.8.2004 ist, da der Antragsteller als Pflichtverteidiger tätig war, als Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr gem. § 51 RVG auszulegen.

II. Die Prüfung, ob ein Anspruch auf eine Pauschgebühr nach § 51 RVG (für das gesamte Verfahren oder einzelne Verfahrensabschnitte) besteht, erfolgt durch den Senat - wie auch im Verfahren nach § 99 BRAGO - regelmäßig in der Weise, dass untersucht wird, inwieweit die besondere Schwierigkeit und/oder der besondere Umfang der anwaltlichen Tätigkeit hinsichtlich einzelner Gebührenanteile zu berücksichtigen ist. Bei außergewöhnlich zeitaufwändigen Verfahren, u.a. umfangreichen Wirtschaftsstrafverfahren bzw. Indizienprozessen kann im Einzelfall auch eine pauschale Betrachtung angezeigt sein.

Die Voraussetzungen zur Bewilligung einer Pauschgebühr nach § 51 RVG sind im bezeichneten Umfang gegeben.

Auszugehen ist von den gesetzlichen Gebühren des Antragstellers, die sich aus dem Vergütungsverzeichnis, Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (RVG-VV) wie folgt ergeben:

-

Grundgebühr gem. § 2, Nr. 4100 RVG-VV

132 Euro

-

Verfahrensgebühr nach § 2, Nr. 4106 RVG-VV

112 Euro

-

Terminsgebühr nach § 2, Nr. 4108 RVG-VV

184 Euro

-

Zuschlag zur Terminsgebühr (Terminsdauer 5-8 Stunden) nach § 2, Nr. 4110 RVG-VV

92 Euro

Gesamtbetrag:

520 Euro

Vorliegend handelte es sich um ein besonders umfangreiches Verfahren i.S.v. § 51 RVG. Dem Angeklagten wurden eine Vielzahl von Betrugs- und Urkundsdelikten zur Last gelegt; der Aktenumfang war für ein Verfahren vor dem Schöffengericht überdurchschnittlich. Außerdem musste sich der Verteidiger mit dem Verfahren 380 Js .../03 - 1 Ls (StA Meiningen/AG Sonneberg) befassen, da das am 19.12.2003 in jener Sache ergangene Urteil gesamtstrafenfähig war.

Eine besondere Schwierigkeit in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht wies das Verfahren indes nicht auf.

Der besondere Umfang der Sache rechtfertigt vorliegend eine Erhöhung der Grundgebühr nach Nr. 4100 RVG-VV auf das Doppelte. Die Grundgebühr soll den Aufwand honorieren, der einmalig mit der Übernahme des Mandats entsteht, also das erste Gespräch mit dem Mandanten und die Beschaffung der erforderlichen Informationen (BT-Drucks. 15/1971, 222). Dazu gehört vor allem auch die erste Akteneinsicht nach § 147 StPO (Gerold/Schmidt/Madert, VV 4100-4105 Rz. 50). Vorliegend ist die mit der Grundgebühr abzugeltende Tätigkeit des Verteidigers als überdurchschnittlich einzuschätzen: Einarbeitung in die umfangreichen Akten, erster Kontakt mit dem Mandanten. Der Senat sieht es als angemessen an, diese Gebühr zu verdoppeln.

Für eine Erhöhung der Verfahrensgebühr nach Nr. 4106 RVG-VV ist hingegen kein Raum. Es ist bei der konkreten Fallgestaltung nicht ersichtlich, dass der durch die Verfahrensgebühr abzugeltende Vorbereitungsaufwand auf den Hauptverhandlungstermin überdurchschnittlich i.S.v. § 51 RVG war. Der Angeklagte hatte vor seinem ersten persönlichen Kontakt mit dem Verteidiger diesem mitgeteilt, dass ...

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