Leitsatz (amtlich)

1. Den Berufungsanwalt, der keine Vorkehrung dagegen getroffen hat, dass die Ausführung einer mündlichen Anweisung an die Mitarbeiterin, die Berufungsbegründungsfrist zu notieren, unterbleibt, trifft ein Organisationsverschulden.

2. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei darf das Empfangsbekenntnis über den Zeitpunkt der – nach der Neuregelung der ZPO auch für den Fristbeginn der Berufungsbegründungsfrist maßgeblichen – Zustellung des erstinstanzlichen Urteils erst dann unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die Rechtsmittel- und auch die -begründungsfrist festgehalten sind und vermerkt ist, dass diese Frist im Fristenkalender notiert sind.

 

Normenkette

ZPO § 85 Abs. 2, §§ 233, 234 Abs. 1, §§ 2, 520 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Mühlhausen (Aktenzeichen 3 O 1809/00)

 

Tenor

1. Der Antrag der Beklagten vom 15.1.2003 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

2. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Mühlhausen vom 23.10.2002 wird verworfen.

3. Die Kosten der Berufung fallen der Beklagten zur Last.

 

Gründe

I. Die Kläger haben von der Beklagten die Bezahlung von 31.231,84 DM wegen einer Ingenieurhonorarforderung verlangt. Das LG hat der Klage i.H.v. 14.147,54 Euro nebst Zinsen stattgegeben, sie i.Ü. abgewiesen. Das Urteil des LG ist dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten ausweislich dessen Empfangsbekenntnis am 1.11.2002 zugestellt worden. Die Berufungsschrift vom 29.11.2002 ging beim Thüringer OLG am 2.12.2002 ein. Mit Verfügung vom 9.1.2003, dessen Zugangszeitpunkt beim Berufungsanwalt nicht feststellbar ist, da dieser das beigefügte Empfangsbekenntnis nicht zur Verfahrensakte zurückgereicht hat, wies der Senatsvorsitzende den Berufungsanwalt darauf hin, dass eine Berufungsbegründung innerhalb der zum 2.1.2003 endenden Berufungsbegründungsfrist des § 520 Abs. 2 ZPO nicht eingegangen ist und der Senat deshalb beabsichtige, nach § 522 Abs. 1 ZPO zu verfahren.

Mit Schriftsatz vom 15.1.2003, eingegangen vorab per Telefax am 16.1.2003, begehrt die Beklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist unter gleichzeitiger Begründung des Rechtsmittels.

Zur Wiedereinsetzung bringt sie vor, ihr Prozessbevollmächtigter habe nach Fertigung des Berufungsschriftsatzes der erfahrenen und bis dahin stets sorgfältig arbeitenden Mitarbeiterin Frau M. den Vorgang mit der Sofortanweisung ausgehändigt, eine Akte anzulegen. Der den Fristenkalender führenden weiteren Mitarbeiterin Frau L. sei aufgegeben worden, im Kalender die Frist zur Begründung der Berufung auf den 2.1.2003 und eine entspr. Vorfrist für den 27.12.2002 zu notieren und anschließend die Akte mit Ausführungsbestätigung dem alleinigen Sachbearbeiter wieder vorzulegen.

Die Anweisung zur Aktenanlage sei von der Angestellten M. noch im Beisein des Prozessbevollmächtigten auf einem Handzettel notiert worden. Die Akte sei anschließend angelegt, dann aber versehentlich die Weitergabe an die Angestellte L. zur Eintragung der Frist und Wiedervorlage versäumt und die Akte zusammen mit anderen Vorgängen abgelegt worden. Erst durch den Hinweis des Senatsvorsitzenden vom 10.1.2003 sei der Prozessbevollmächtigte am 14.1.2003 auf diesen Umstand aufmerksam geworden und habe sich die Akte umgehend vorlegen lassen.

Zur Glaubhaftmachung dieser Darlegung hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, seine Wahrnehmung betreffend dies anwaltlich versichert und eine eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin M. vorgelegt.

II. 1. Die Berufung ist unzulässig und deshalb zu verwerfen, § 522 Abs. 1 ZPO, da nicht rechtzeitig innerhalb der am 2.1.2003 endenden zweimonatigen Frist des § 520 Abs. 2 ZPO begründet.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist kann der Beklagten nicht gewährt werden.

Der Antrag ist zwar zulässig und insb. innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO eingegangen. Er erweist sich jedoch als unbegründet.

Nach § 233 ZPO ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert war. Daran fehlt es hier. Die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruht auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, das sich die Beklagte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.

Wie die Beklagte selbst vorträgt soll es zur Fristversäumung gekommen sein, weil die mit der Anlage der Akte nach Fertigung der Berufungsschrift betraute Mitarbeiterin M. den Vorgang an die mit der Notierung der Berufungsbegründungsfrist und entspr. Vorfrist beauftragte weitere Mitarbeiterin L. versehentlich nicht ausgehändigt habe.

Damit hat der Berufungsanwalt nicht hinreichend dargetan, seiner Sorgfaltspflicht genügt zu haben.

a) So ist schon nicht ersichtlich, weshalb die durch die Mitarbeiterin M. unterbliebene Weiterleitung der Akte an die mit der Fristnotierung betraute Mitarbeiterin L. für die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist überhaupt kausal ist. Denn wenn – wie von der ...

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