Leitsatz (amtlich)

Widerlegt ist die Vermutung einer durch sachfremde Zwecke motivierten Heimeinweisung nur, wenn positiv festgestellt werden kann, dass die Unterbringung nicht auch der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat, sondern durch die üblichen rechtsstaatskonformen Zwecke gedeckt war (Anschluss an OLG Rostock, Beschl v. 12. Februar 2020 - 11 Ws Reha 2/20, bei juris).

 

Normenkette

StrRehaG § 2 Abs. 1, § 10 Abs. 3 S. 1

 

Verfahrensgang

LG Meiningen (Entscheidung vom 19.01.2017; Aktenzeichen Reha 4/16)

 

Tenor

1. Der Beschluss des Landgerichts Meiningen - Kammer für Rehabilitierungssachen - vom 19.01.2017 wird aufgehoben.

2. Die durch Verfügung des Rates des Kreises Sl/Referat Jugendhilfe vom 10.08.1967 (Verf.-Reg.-Nr. 38/67) und den Beschluss des Rates des Kreises S/Jugendhilfeausschuss vom 16.08.1967 (Beschl.-Reg.-Nr. 29/67) angeordnete Heimerziehung und Unterbringung des Betroffenen in einem Spezialkinderheim wird unter Aufhebung der Einweisungsentscheidungen für rechtsstaatswidrig erklärt.

3. Es wird festgestellt, dass der Betroffene vom 14.08.1967 bis zum 30.08.1974 zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten hat.

4. Verfahrenskosten werden nicht erhoben. Die dem Betroffenen in beiden Instanzen entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt seine Rehabilitierung wegen der Unterbringung in Einrichtungen der Jugendhilfe der ehemaligen DDR.

Mit Beschluss des Rates des Kreises S/Jugendhilfeausschuss vom 16.08.1967 (Beschl.Reg.-Nr.29/67) wurde - nach vorläufiger Anordnung durch Verfügung des Rates des Kreises S/Referat Jugendhilfe vom 10.08.1967 (Verf.-Reg.-Nr. 38/67) - gem. §§ 50 FamFG, 23 JHVO 1966 die Heimerziehung des damals 9 Jahre alten Beschwerdeführers in einem Spezialkinderheim angeordnet. Die soziale Verwurzelung des Kindes zu seinem Elternhaus sei seit 1 1/2 Jahren wesentlich gestört. Seine seit Juni 1965 geschiedene, allein erziehungsberechtigte Mutter, bei der der Betroffene mit seiner vierjährigen Schwester lebe, habe sich kaum um den Jungen gekümmert. Er besuche die Schule nur unregelmäßig, falle durch bockiges Benehmen, Disziplinlosigkeit und Unaufmerksamkeit auf, treibe sich in der Stadt herum, sei schon nächtens dem Elternhaus ferngeblieben und bilde aufgrund von ihm verübter Diebstahlshandlungen "den Schwerpunkt in der Kinderkriminalität in S". Die Heimeinweisung sei für einen erfolgreichen Beginn des Umerziehungsprozesses notwendig; sie sei "auch die Forderung der Sicherheitsorgane". Die Unterbringung in einem Normalheim sei nicht angebracht, da der Junge alle bisherigen Bemühungen für eine Umerziehung negiere und die beteiligten Erziehungsträger der angenommenen Fehlentwicklung nicht hätten Einhalt gebieten können.

Aufgrund der vorgenannten Entscheidungen wurde der Beschwerdeführer am 14.08.1967 ins Durchgangsheim E und nachfolgend ins Aufnahmeheim "E S" in E aufgenommen, zum 12.10.1967 in das Spezialkinderheim "E F" in H bei Z eingewiesen und mit Beginn des 5. Schuljahres Ende August 1970 von dort in das Spezialkinderheim B B verlegt. Zum 01.09.1974 wurde sein Wechsel in das (Normal-)Kinderheim M veranlasst, aus dem er zum August 1975 nach Abschluss eines Lehrvertrages entlassen wurde.

Hinsichtlich der angeordneten Heimerziehung und der "damit einhergehenden Aufenthalte in einem Spezialheim" beantragte der Beschwerdeführer am 18.01.2016 seine strafrechtliche Rehabilitierung; einen dieselben Unterbringungszeiten betreffenden Antrag vom 07.09.2010 (Reha 86/10) hatte er im Dezember 2010 zurückgenommen.

Mit Beschluss vom 19.01.2017 hat das Landgericht Meiningen - Kammer für Rehabilitierungssachen - den Antrag zurückgewiesen. Die Heimunterbringung des Antragstellers sei allein auf erzieherische Gründe gestützt worden. Dass sie in einem Spezialkinderheim erfolgt sei, begründe keine strafrechtliche Rehabilitierung; es könne nicht allgemein angenommen werden, dass eine solche Unterbringung per se sachfremden Zwecken gedient habe. Angesichts ihrer Veranlassung u. a. durch Diebstahlshandlungen des Betroffenen stelle sie sich trotz der erheblichen Dauer auch nicht als grob unverhältnismäßig dar.

Gegen die Entscheidung hat der Antragsteller über seinen Verfahrensbevollmächtigten am 13. 02.2017 Beschwerde eingelegt, die er mit persönlichem Schreiben vom 02.03.2017, ergänzt am 23.03.2017, begründet hat.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat mit Vorlage der Akten beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen. Der Beschwerdeführer hat hierauf zum 20.06.2017 erwidert.

II.

Die nach § 13 Abs. 1 StrRehaG statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde des Betroffenen hat in der Sache Erfolg.

Nach Maßgabe der zum 29.11.2019 in Kraft getretenen Änderung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes durch das Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR und zur Änderung des Adoptionsvermittlungsgesetzes (VerbReha/A...

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