Entscheidungsstichwort (Thema)
Gebühren und Kosten: Anfechtbarkeit der Kostenentscheidung nach Einstellung wegen eines Verfahrenshindernisses
Leitsatz (amtlich)
›1. Durch eine Einstellungsentscheidung im Berufungsverfahren nach § 206a StPO wegen dauernder Verhandlungsunfähigkeit ist ein Angeklagter nicht beschwert, eine sofortige Beschwerde ist zwar statthaft aber unzulässig. Insbesondere kann nicht geltend gemacht werden, dem Angeklagten werde die Möglichkeit eines Freispruchs genommen. Aufgrund der Unschuldsvermutung, die aus Artikel 6 Abs. 2 MRK folgt, ist mangels rechtskräftiger Verurteilung jeder Angeklagte ohne Rücksicht auf den Grad des verbleibenden Verdachts als unschuldig anzusehen.
2. Die Kostenentscheidung innerhalb der Einstellungsentscheidung kann mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden. § 464 Abs. 3 Satz 1 StPO steht dem wegen der Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde gegen die Grundentscheidung nicht entgegen.‹
Verfahrensgang
LG Mühlhausen (Beschluss vom 21.03.2006; Aktenzeichen 304 Js 51793/04 - 7 Ns) |
Gründe
I.
Die Angeklagte wurde am 04.04.2005 vom Amtsgericht Nordhausen wegen falscher Versicherung an Eides statt zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 15,00 EUR verurteilt.
Der Verurteilung lag zugrunde, dass die Angeklagte bei Abgabe der eidesstattlichen Versicherung gegenüber dem Gerichtsvollzieher Ast (welcher aufgrund ihrer Angaben das Formular ausfüllte) am 24.11.2004 der Wahrheit zuwider angegeben habe, innerhalb der letzten zwei Jahre an ihre Mutter oder sonstige nahe Angehörige keine Vermögensgegenstände oder Forderungen übertragen oder abgetreten zu haben.
Die Angeklagte ist seit 1994 an multipler Sklerose erkrankt und ist seit Anfang des Jahres 2005 in die Pflegestufe III eingestuft. Im Vorfeld der erstinstanzlichen Verhandlung hatte der Verteidiger der Angeklagten deren Verhandlungsfähigkeit problematisiert. Im Urteil des Amtsgerichts Nordhausen vom 04.04.2005 wird dazu nicht ausdrücklich Stellung genommen. Im Rahmen der Beweiswürdigung führt das Urteil aber folgendes aus:
"Die Angeklagte hat sich nur sehr zurückhaltend zur Sache eingelassen. Diese Zurückhaltung lag offensichtlich nicht in ihrer Krankheit begründet, da sie sich durchaus verständlich artikulieren konnte."
"Auch in der Hauptverhandlung hat das Gericht keine Anhaltspunkte erkennen können, die für eine erheblich verminderte geistige Fähigkeit der Angeklagten sprechen könnten. Vielmehr hat sie sich selbst prozesstaktisch nachvollziehbar in der Hauptverhandlung eingelassen."
"Die intellektuellen Fähigkeiten der Angeklagten sind, dies war auch in der Beweisaufnahme ersichtlich, durchaus auf dem Stand, selbst kompliziertere Fragen zu verstehen und sachgerecht zu beantworten."
Gegen das Urteil des Amtsgerichts Nordhausen legte die Angeklagte Berufung ein.
Mit Schriftsatz vom 12.01.2006 teilte der Verteidiger der Angeklagten dem Berufungsgericht mit, dass es in der Zwischenzeit mehrere weitere Schübe in der Erkrankung der Angeklagten gegen habe. Sie könne kaum noch sprechen und sei ohne spezielle Mittel nicht transportfähig. Gleichzeitig übersandte er ein Schreiben der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Frau Sch., wonach die Angeklagte weder transport- noch verhandlungsfähig sei.
Daraufhin ordnete das Landgericht Mühlhausen die amtsärztliche Untersuchung der Angeklagten gem. § 81a StPO zur Überprüfung ihrer Verhandlungsfähigkeit an. Bei Ausschluss einer Besserung des Gesundheitszustandes der Angeklagten nahm das amtsärztlichen Gutachten vom 22.02.2006 eine dauernde Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten an und begründete dies wie folgt:
"Frau J. leidet seit Jahren an einer multiplen Sklerose, deren chronisch progredienter Verlauf nunmehr lähmungsbedingt zu Bettlägerigkeit zur Schwerpflegebedürftigkeit geführt hat. Es besteht eine erhebliche krankheitsbedingte Sprachstörung, die regelmäßig im Tagesverlauf zu einer zunehmenden Sprachunverständlichkeit führt.
Infolge ihrer Schwerbehinderung (GdB 100 %) ist sie so hilflos, dass sie für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf.
Damit verbunden ist ein ausgeprägtes hirnorganisches Psychosyndrom mit massiven Stimmungsschwankungen, teilweise nicht situationsangepasstem Verhalten, Tendenzen zu depressiven Episoden und eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten (Konzentrations- und Aufmerksamkeitsfähigkeit).
Wenn auch eine Transportfähigkeit besteht und rein technisch - liegender Transport - realisierbar wäre, ist angesichts der Gesamtheit der krankheitsbedingten gesundheitlichen Einschränkungen eine Verhandlungsfähigkeit der Frau Junge aus der Sicht des Gutachters nicht gegeben.
Eine Besserung des Gesundheitszustandes ist nicht zu erwarten, sodass letztendlich von einer dauernden Verhandlungsunfähigkeit auszugehen ist."
Nach Anhörung der Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Mühlhausen mit dem angefochtenen Beschluss vom 21.03.2006 das Verf...