Entscheidungsstichwort (Thema)
Ordnungswidrigkeiten. Befahren der Fußgängerzone. Lieferverkehr frei. Verkehr
Leitsatz (amtlich)
Das Befahren eines durch Zeichen 242.1 der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO mit Zusatzzeichen "Lieferverkehr frei" gekennzeichneten Fußgängerbereichs zu dem Zweck, dort vorhandene Schaukästen mit Werbeplakaten zu bestücken, ist "Lieferverkehr" im Sinne des Zusatzzeichens.
Normenkette
StVO § 41 Abs. 1 Anlage 2 Zeichen 242.1, § 39 Abs. 3, § 41 Abs. 1, § 49 Abs. 3 Nr. 4; VzKat (1992) Nr. 1026-35
Verfahrensgang
AG Jena (Entscheidung vom 15.02.2012; Aktenzeichen 260 Js 39732/11 1 OWi) |
Tenor
1. Das Urteil des Amtsgerichts Jena vom 15.02.2012 wird aufgehoben.
2. Der Betroffene wird freigesprochen.
3. Die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I. Durch Urteil des Amtsgerichts Jena vom 15.02.2012 ist gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Parkens in einem durch Verkehrszeichen 242.1, 242.2 gesperrten Fußgängerbereich eine Geldbuße von 30,- € verhängt worden. Dem liegen folgende tatrichterliche Feststellungen zugrunde:
"Der Betroffene parkte mit dem PKW der Marke Mercedes, amtliches Kennzeichen J am 20.09.2011 im Zeitraum von 08:30 Uhr bis 08:50 Uhr in J in der Oberlauengasse Ecke Unterm Markt. Hierbei handelt es sich um einen Fußgängerbereich, der durch entsprechende Beschilderung mit Zeichen 242.1 und 242.2 nach der Anlage 2 zu § 41 Abs. 1 StVO gekennzeichnet ist. Eine Ausnahmegenehmigung besitzt der Betroffene nicht...
...Der Betroffene hat in der Hauptverhandlung eingeräumt, als verantwortlicher Fahrzeugführer den PKW mit dem amtlichen Kennzeichen J - in der Oberlauengasse in J abgestellt zu haben. Er habe in der Fußgängerzone mehrere Schaukästen für Werbung zu reinigen und neu zu bestücken gehabt. Es sei ihm bekannt gewesen, dass er sein Fahrzeug in einer Fußgängerzone parkte, jedoch sei hier an Werktagen der Lieferverkehr von 06:00 Uhr bis 10:00 Uhr und von 18:00 Uhr bis 21:00 Uhr erlaubt. Er habe hier lediglich die von ihm im gesamten Innenstadtbereich betriebenen Schaukästen mit neuen Werbeplakaten beliefert.
Es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Betroffene objektiv den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit gemäß den §§ 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2 Zeichen 242.1, 49 StVO, 24 StVG verwirklicht hat. Der Betroffene hat selbst vorgetragen, dass ihm bekannt ist, dass es sich bei der Oberlauengasse um eine Fußgängerzone handelt. In der Fußgängerzone dürfen andere Verkehrsteilnehmer den Fußgängerbereich nicht nutzen, es sei denn, es ist durch entsprechende Zusatzbeschilderung erlaubt. Tatsächlich ist es so, dass der Lieferverkehr in den genannten Zeiträumen den Fußgängerbereich zum Zwecke der Warenlieferung nutzen darf. Lieferverkehr umfasst jedoch lediglich solche Waren, deren Umfang und/oder Gewicht ein Tragen über längere Strecken unzumutbar erscheinen lässt. Schon nach dem eigenen Vortrag des Betroffenen lag dies jedoch nicht vor, da er von seinem damaligen Standort aus alle Schaukästen im gesamten Innenstadtbereich versorgt hat. Auch erscheint es kaum möglich, dass Plakate vom Umfang oder Gewicht so gestaltet sind, dass ein Tragen über längere Strecken unzumutbar erscheint. Dem Betroffenen geht es offenbar lediglich darum, sich die Parkgebühren für die ebenfalls im Innenstadtbereich vorhandenen gebührenpflichtigen Parkplätze zu sparen.
In subjektiver Hinsicht ist dem Betroffenen zumindest Fahrlässigkeit vorzuwerfen."
Am 22.02.2012 hat der Verteidiger des Betroffenen die Zulassung der zugleich eingelegten und mit der Verletzung materiellen Rechts begründeten Rechtsbeschwerde beantragt. Das mit Gründen versehene Urteil ist dem Betroffenen am 13.03.2012 zugestellt worden.
Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 24.05.2012 beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu verwerfen.
Mit Beschluss vom 12.07.2012 hat die zuständige Einzelrichterin des Senats für Bußgeldsachen die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts in Bezug auf den Begriff des "Lieferverkehrs" zugelassen und die Sache dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
II. 1. Die danach zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Die vom Amtsgericht Jena getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die Verurteilung des Betroffenen wegen fahrlässigen Benutzens eines durch Verkehrszeichen 242.1 und 242.2 gekennzeichneten und für andere Verkehrsteilnehmer gesperrten Fußgängerbereichs, welcher durch Zusatzzeichen lediglich zu bestimmten Zeiten für Lieferverkehr freigegeben ist. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben.
a) Nach der im Urteil wiedergegebenen Einlassung des Betroffenen, der der Tatrichter offenbar gefolgt ist, hat der Betroffene seinen PKW in die Fußgängerzone gefahren und dort geparkt, um mehrere in der Fußgängerzone betriebene Schaukästen zur Ausstellung von Werbeplakaten zu reinigen und - unter Entnahme der alten - mit neuen Werbeplakaten zu bestücken....