Leitsatz (amtlich)
Zur Zulässigkeit der Fesselung eines Strafgefangenen an Händen und Füßen
Verfahrensgang
LG Erfurt (Entscheidung vom 29.12.2016; Aktenzeichen StVK 396/16) |
Tenor
1. Der Beschluss des Landgerichts Erfurt vom 29.12.2016 wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass die Fesselung des Antragstellers an Händen und Füßen (Doppelfesselung) während seines Transportes nach M... am 06.06.2016 rechtswidrig war.
3. Dem Antragsteller wird mit Wirkung ab dem 17.06.2016 für beide Rechtszüge ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt.
Für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird ihm Rechtsanwalt T... J... beigeordnet.
4. Die Kosten des Verfahrens und die dem Antragsteller hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
5. Der Gegenstandswert wird auf 1.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der ... Antragsteller, der sich seit dem 25.06.2014 zunächst in Untersuchungshaft befand, verbüßt derzeit die u. a. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern gegen ihn verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 3 Monaten aus dem Urteil des Landgerichts G... vom 05.11.2015. Das Strafende ist auf den 21.01.2020 notiert.
Am 06.06.2016 wurde der Strafgefangene auf Veranlassung des Oberlandesgerichts M... von der Justizvollzugsanstalt (JVA) T... in die JVA M... transportiert, weil er am Folgetag in dem Strafverfahren gegen Z... u. a. (zum wiederholten Mal) als Zeuge vernommen wurde. Bei dem Transport nach M... war der Antragsteller - wie bereits bei zwei vorausgegangenen Gefangenentransporten aus dem gleichen Grund von G... nach M... im Juli und September 2014 - entsprechend der ihm kurz vor Fahrtantritt bekannt gegebenen Anordnung der Anstaltsleitung an Händen und Füßen gefesselt. Ein im März 2016 beim Landgericht G... als Haftgericht gestellter Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§ 119a StPO) wegen der Doppelfesselung bei den Fahrten im Juli und September 2014 war als unzulässig verworfen worden
Mit dem am 17.06.2016 beim Landgericht Erfurt eingegangenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Strafgefangene die Feststellung begehrt, dass die Anordnung und Durchführung seiner Fesselung an Händen und Füßen (Doppelfesselung) während des Transportes am 06.06.2016 zum Oberlandesgericht M... rechtswidrig gewesen sei. Zur Begründung des Feststellungsantrages macht er u. a. geltend, dass die Fesselung an Händen und Füßen gegen § 89 ThürJVollzGB verstoße und insbesondere auch deshalb unbegründet und unverhältnismäßig gewesen sei, weil er auf allen bisherigen Rückführungen aus B... ohne (Doppel-)Fesselung transportiert worden sei, es von Seiten der ... Justiz - abgesehen von der Bitte um Einzeltransport - auch keine besonderen Sicherungsanordnungen gegeben habe und er bislang auch keinerlei Fluchtversuch oder ähnliches unternommen habe.
Der von der Strafvollstreckungskammer beteiligte Antragsgegner hat mit näherer Begründung die Auffassung vertreten, dass der zulässige Feststellungsantrag unbegründet sei, weil die Anordnung der Fesselung als besondere Sicherungsmaßnahme gemäß § 89 ThürJVollzGB wegen erhöhter Fluchtgefahr gerechtfertigt gewesen sei und jedenfalls den insoweit der Vollzugsbehörde zustehenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten habe. Abweichend von § 89 Abs. 5 ThürJVollzGB sei die Fesselung an Händen und Füßen angeordnet worden, weil die Person des Antragstellers sowie der Anlass der Zeugenvernehmung dies erforderten.
Mit Beschluss vom 29.12.2016 hat das Landgericht - Strafvollstreckungskammer - Erfurt den Antrag des Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung und den gleichzeitig gestellten Antrag auf Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
Gegen den am 10.01.2017 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller mit Schriftsatz seines Verteidigers am 08.02.2017 Rechtsbeschwerde eingelegt und diese begründet. Die angefochtene Entscheidung gehe an der einschlägigen Regelung des § 89 ThürJVollzGB - insbesondere dessen Absatz 5 - vorbei, die in den Entscheidungsgründen weder erwähnt noch tatsächlich als Prüfungsmaßstab herangezogen worden sei. Eine Doppelfesselung an Händen und Füßen sei hiernach - soweit nicht im Interesse des Gefangenen selbst geboten - von vornherein unzulässig.
Das im Rechtsbeschwerdeverfahren beteiligte T... M... für J... u. a. hat - nach Aufforderung zur Aktenrückgabe wegen deutlicher Überschreitung der eingeräumten Frist - von einer Stellungnahme abgesehen.
II.
Die nach dem Maßstab des § 116 Abs. 1 StVollzG unter den Gesichtspunkten der Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung statthafte, gemäß § 118 StVollzG form- und fristgerecht eingelegte und begründete und damit insgesamt zulässige Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der angefochtene Beschluss war auf die - nicht ausdrücklich erhobene, aber aus der Begründung ersichtliche - Sachrüge aufzuheben und - da die Sache i. S. d. § 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG spruchreif ist - dem Feststellungsantrag des Gefangenen ...