Entscheidungsstichwort (Thema)

Verteidigung. Auswahlrecht des Beschuldigtgen. Vorschlagsrecht des Beschuldigten. Pflichtverteidiger. Pflichtverteidigung

 

Leitsatz (amtlich)

Wurde dem Angeklagten unter Verstoß gegen § 142 Abs. 1 Satz 1 StPO keine Gelegenheit gegeben, einen Verteidiger seiner Wahl zu benennen, ist der beigeordnete Rechtsanwalt auch dann auf Antrag des Angeklagten zu entpflichten und ein von ihm gewählter Verteidiger beizuordnen, wenn ernstzunehmende Anhaltspunkte für eine Störung des Vertrauensverhältnisses zu dem bisherigen Pflichtverteidiger nicht bestehen.

 

Normenkette

StPO § 142 Abs. 1 S. 1, § 309 Abs. 2

 

Tenor

1. Der Beschluss des Landgerichts M vom 29.7.2011 wird aufgehoben und dem Angeklagten für die Berufungsinstanz anstelle von Rechtsanwalt Sch Rechtsanwalt K als Pflichtverteidiger beigeordnet.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

 

Gründe

I. Mit der Anklageschrift vom 14.10.2010 hat die Staatsanwaltschaft M dem Angeklagten versuchten schweren räuberischen Diebstahl in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zur Last gelegt und in der Anklageschrift beantragt, ihm gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Am 26.10.2010 hat das Amtsgericht S die Zustellung der Anklageschrift an den Angeklagten verfügt, ohne den in der Verfügung vorgesehenen Zusatz, dass der Angeklagte innerhalb der für die Stellungnahme zur Anklageschrift gesetzten Frist von 2 Wochen einen örtlichen Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger vorschlagen könne, anzukreuzen. Mit Beschluss vom 2.11.2010 hat das Amtsgericht S dem Angeklagten Rechtsanwalt --- in S gemäß § 140 Abs. 1 Nr. 2 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet, der dem Amtsgericht mit Schriftsatz vom 22.11.2010 mitgeteilt hat, der Angeklagte habe den vereinbarten Beratungstermin nicht wahrgenommen.

Am 13.4.2011 hat in dieser Sache die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten vor dem Schöffengericht des Amtsgerichts S stattgefunden, an der Rechtsanwalt Sch als Pflichtverteidiger des Angeklagten teilgenommen hat. Durch das am selben Tag verkündete Urteil hat das Amtsgericht S den Angeklagten des versuchten schweren räuberischen Diebstahls tateinheitlich begangen mit vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen schuldig gesprochen und ihn deshalb unter Einbeziehung weiterer Straferkenntnisse zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt. Mit Schriftsatz seines Pflichtverteidigers Rechtsanwalt Sch vom 18.4.2011, eingegangen beim Amtsgericht an selben Tage, hat der Angeklagte Berufung gegen dieses Urteil eingelegt.

Durch eigenes Schreiben vom 24.5.2011 hat der Angeklagte beantragt, Rechtsanwalt Sch als Pflichtverteidiger zu entlassen und stattdessen Rechtsanwalt K zu seinem Pflichtverteidiger zu bestellen Als Begründung hierfür hat er fehlendes Vertrauen zu Rechtsanwalt Sch angegeben. Mit Schriftsatz vom 22.7.2011 hat sich Rechtsanwalt K für den Angeklagten gemeldet und unter Hinweis auf den bereits vom Angeklagten selbst gestellten Antrag beantragt, die Bestellung von Rechtsanwalt Sch als Pflichtverteidiger des Angeklagten zurückzunehmen und zur Begründung dieses Antrags mit Schriftsatz vom 28.7.2011 weiter ausgeführt.

Mit Beschluss vom 29.7.2011 hat das Landgericht M den Antrag des Angeklagten auf Widerruf der Bestellung von Rechtsanwalt Sch zu seinem Pflichtverteidiger abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit der durch Schriftsatz seines Wahlverteidigers, Rechtsanwalt K, vom 4.8.2011 eingelegten Beschwerde und Gegenvorstellung, der das Landgericht M mit Beschluss vom 5.8.2011 nicht abgeholfen, sondern die es dem Thüringer Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt hat.

Mit Schriftsatz seines Wahlverteidigers vom 11.8.2011 hat der Angeklagte zu der eingelegten Beschwerde weiter ausgeführt.

In ihrer Zuschrift an den Senat vom 15.8.2011 hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft beantragt, den Beschluss des Landgerichts M vom 29.7.2011 aufzuheben und dem Angeklagten Rechtsanwalt --- als Pflichtverteidiger beizuordnen.

II. 1. Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO statthafte Beschwerde ist zulässig eingelegt.

Allerdings wäre eine im eigenen Namen eingelegte Beschwerde des Wahlverteidigers unzulässig, denn dieser hat gegen die Ablehnung der Entpflichtung des (bisherigen) Pflichtverteidigers und der Beiordnung seiner Person stattdessen kein eigenes Beschwerderecht (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 141 Rdnr. 9 m.w.N.). Vorliegend hat der Wahlverteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt K, die Beschwerde aber nicht im eigenen Namen, sondern namens des Angeklagten eingelegt.

Die Erklärung vom 4.8.2011 ist auszulegen. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Wahlverteidiger mit Schriftsatz vom 22.7.2011 unter Vollmachtsvorlage angezeigt hat, dass er von dem Angeklagten mit seiner weiteren Vertretung in dem anhängigen Berufungsverfahren beauftragt worden ist. Weil sich diese Vollmacht auf das gesamte Verfahren bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss erstreckt un...

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