Leitsatz (amtlich)
1. Entschließt sich ein öffentlicher Auftraggeber, Leistungen des öffentlichen Personennahverkehrs i.S.d. § 8 Abs. 1 PBefG europaweit auszuschreiben, so gehört die Frage, ob er zuvor geprüft hat, ob eine ausreichende Verkehrsbedienung durch eigenwirtschaftliche Verkehrsleistungen möglich ist, nicht zum Prüfungsumfang im vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren nach den §§ 102 ff. GWB (ebenso OLG Düsseldorf, Beschluss vom 2.3.2011, VII Verg 48/10).
2. Weist die Vergabekammer einen Vergabenachprüfungsantrag ohne mündliche Verhandlung als unzulässig ab, rechtfertigt das in der Regel eine deutliche Herabsetzung der Verfahrensgebühr.
Normenkette
GWB §§ 102, § 102 ff., §§ 104, 107, 114
Verfahrensgang
Vergabekammer des Freistaats Thüringen (Beschluss vom 22.08.2011; Aktenzeichen 250-4003.20-3457/2011-E-007-HBN) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer beim Thüringer Landesverwaltungsamt vom 22.8.2011 hinsichtlich der Gebührenfestsetzung (Ziff. 3 des Beschlusses) abgeändert. Die Gebühr für das Verfahren der Vergabekammer wird auf 9000 EUR festgesetzt. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich des Verfahrens nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB sowie die außergerichtlichen Aufwendungen der Vergabestelle hat die Antragstellerin zu tragen.
Die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Vergabestelle wird auch im Beschwerdeverfahren für notwendig erklärt.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.172.031,34 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der den Gegenstand des Verfahrens bildende, am 30.3.2011 europaweit im offenen Verfahren ausgeschriebene Dienstleistungsauftrag "..." betrifft die Durchführung von Dienstleistungen der öffentlichen Personenbeförderung. Die ausgeschriebenen Leistungen waren in vier Lose aufgeteilt, wobei Angebote für ein Los oder mehrere Lose abgegeben werden konnten. Den Wert der Leistungen hatte die Vergabestelle auf den jährlichen Nettobetrag von 4.610.000 EUR geschätzt. Als Zuschlagskriterium wurde der niedrigste Preis genannt. Der jährliche Nettopreis des (Kombi-) Angebots der Antragstellerin beläuft sich auf 4.924.501,38 EUR.
Die Antragstellerin gab neben fünf weiteren Bietern fristgemäß insgesamt 15 Angebote (auf die einzelnen Lose und elf verschiedene Kombiangebote) ab. Die Beigeladene hat für jedes Los ein Angebot und ein Kombiangebot abgegeben.
Mit Bewerberinformation Nr. 45 vom 5.5.2011 hat die Vergabestelle mitgeteilt, dass sie vom Thüringer Landesverwaltungsamt darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass dieses für einen Teil der von der Ausschreibung betroffenen Linien Liniengenehmigungen an ein anderes, nicht an der Ausschreibung beteiligtes Unternehmen erteilt habe; da diese nicht bestandskräftig seien, werde die Ausschreibung unverändert fortgesetzt. Beim VG Meiningen, Az.: - 2 K 466/11 ME, ist eine Klage der Vergabestelle gegen die Erteilung dieser Linienverkehrsgenehmigungen anhängig. Ein Mitglied der Antragstellerin hatte mit der N. GmbH, der Inhaberin dieser Genehmigungen, bereits am 11.2.2011 einen damit im Zusammenhang stehenden "Vorvertrag über eine kooperative Zusammenarbeit im Bereich des öffentlichen Personennahverkehrs" geschlossen.
Am 18.7.2011 erhielt die Antragstellerin von der Vergabestelle die Mitteilung nach § 101a GWB, dass beabsichtigt sei, den Zuschlag auf das Gesamtangebot (Lose 1-4) der Beigeladenen zu erteilen; die Antragstellerin könne nicht berücksichtigt werden, da ihr Angebot nicht das wirtschaftlichste sei. Hinsichtlich der dem zugrunde liegenden Prüfung und (Preis-) Wertung aller Angebotsvarianten wird auf den angegriffenen Beschluss der Vergabekammer vom 22.8.2011 verwiesen.
Die Antragstellerin rügte mit Schriftsatz vom 20.7.2011, bei dem Angebot der Beigeladenen handele es sich um ein solches mit unauskömmlichen Preisen; die Beigeladene verfolge "offensichtlich" die Absicht, andere Unternehmen vom Markt zu verdrängen. Mit Schreiben vom 27.7.2011 rügte die Antragstellerin weiter, die Beigeladene wolle sämtliche Leistungen durch Subunternehmer erbringen, die zudem teilweise finanziell nicht leistungsfähig seien. Darüber hinaus seien für ca. 35 % der ausgeschriebenen Linien Genehmigungen für ein nicht an der Ausschreibung beteiligtes Unternehmen für die eigenwirtschaftliche Betreibung erteilt worden. Im Hinblick auf den Vorrang eigenwirtschaftlicher Verkehre vor gemeinwirtschaftlichen Verkehren sei auch davon auszugehen, dass diese Genehmigungen bestandskräftig werden. Die Vergabestelle habe von den diesen Genehmigungen zugrunde liegenden Anträgen vor der Bekanntmachung der Ausschreibung Kenntnis gehabt. Die Leistung sei daher - im Hinblick auf den Wegfall von ca. 35 % des Ausschreibungsumfangs - nicht zutreffend i.S.v. § 8 VOL/A-EG beschrieben; eine seriöse Kalkulation sei unmöglich. Gestützt auf diese vermeintlichen Vergaberechtsverletzungen stellte die Antragstellerin unter dem 27.7.2011 einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer...