Leitsatz (amtlich)
Die mündliche Erörterung in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit steht der mündlichen Verhandlung in ZPO-Verfahren gebührenrechtlich nicht gleich. Kein Anfall der (fiktiven) Terminsgebühr nach Nr. 3104 (1) Nr. 1 VV-RVG, wenn das Verfahren nach gerichtlich gebilligter Elternvereinbarung ohne mündliche Erörterung beendet wird.
Normenkette
RVG Anl. 1 Nr. 3104
Verfahrensgang
AG Gera (Aktenzeichen 7.52024) |
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Gera vom 07.05.2024, Az. 6 F 372/22, wird zurückgewiesen
Gründe
I. Im angefochtenen Beschluss vom 07.05.2024, auf den verwiesen wird, hat das Familiengericht die Erinnerung der Beschwerdeführerin vom 04.09.2023 gegen den Beschluss der Rechtspflegerin vom 19.05.2023 zurückgewiesen. Diese hat die Vergütung der auf Basis bewilligter Verfahrenskostenhilfe/VKH der antragstellenden Mutter beigeordneten Rechtsanwältin auf 891,43 EUR statt - am 20.02.2023 beantragter - 1.532,72 EUR festgesetzt.
Gegen die am 13.05.2024 zugestellte Entscheidung hat die beigeordnete Rechtsanwältin am 14.05.2024 sofortige Beschwerde erhoben, mit die sie ihren Vergütungsantrag weiterverfolgt. Werde - wie hier - in einem Verfahren der elterlichen Sorge im Einverständnis mit den Beteiligten ohne Termin entschieden, so entstehe gem. Anm. Abs. 1 Nr. 1 zu Nr. 3104 VV RVG eine Terminsgebühr, da in einem solchen Verfahren die Durchführung eines Erörterungstermines vorgeschrieben ist.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschwerdeschrift vom 14.05.2024 Bezug genommen.
II. Die Beschwerde der beigeordneten Rechtsanwältin ist wegen ihres 200 EUR übersteigenden Mindestwerts (1.532,72 EUR - 891,43 EUR = 641,29 EUR) statthaft und auch sonst zulässig, vor allem fristgerecht binnen zwei Wochen nach Zustellung der zurückweisenden Entscheidung über die Erinnerung erhoben worden, §§ 56 Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1, Satz 3 RVG.
Die Beschwerde ist unbegründet. Der Beschwerdeführerin ist keine weitere Vergütung aus der Staatskasse nach §§ 48 Abs. 1, 49 RVG zu gewähren.
Die Beschwerde betrifft die Frage, ob bei einer Kindschaftssache - hier: Sorge- und Umgangs- recht - für den Rechtsanwalt die fiktive Terminsgebühr entstehen kann, weil § 155 Abs. 2 Satz 1 FamFG eine Erörterung mit den Beteiligten in einem Termin verbindlich anordnet (zum Meinungsstand, v.a. zur OLG-Rechtsprechung: OLG Düsseldorf, Beschluss vom 10.6.2022 - 3 WF 19/22 -, Rn. 10-11 m.w.N.).
Die (Termins-)Gebühr nach Nr. 3104 (1) Nr. 1 VV-RVG entsteht auch, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien oder Beteiligten oder gemäß § 307 oder § 495 a ZPO oder § 77 Abs. 2 AsylG ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren mit oder ohne Mitwirkung des Gerichts ein Vertrag im Sinne der Nummer 1000 geschlossen wird.
1. Das Familiengericht hat am 05.10.2022 im Sinne von Nr. 3104 (1) Nr. 1 VV-RVG entschieden.
Denn es hat es in Beschlussziffer 5. die Umgangs-/Elternvereinbarung der Beteiligten vom 05.10.2022 zum Aufenthalt ihrer Kinder und zum Umgang mit dem Vater als Vergleich gebilligt und damit eine mit der Beschwerde nach § 58 Abs. 1 FamFG anfechtbare Endentscheidung i.S.v. § 38 Abs. 1 Satz 1 FamFG erlassen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juli 2019 - XII ZB 507/18 -, juris Rn. 10-12).
Zugleich wurde ein Vertrag im Sinne der Nr. 1000 VV-RVG geschlossen.
2. Entscheidung und Vereinbarung erfolgten jedoch nicht in einem Verfahren, für das im o.g. vergütungsrechtlichen Sinne eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist.
Kindschaftssachen, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen sowie Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls muss das Familiengericht zwar mit den Beteiligten in einem Termin erörtern, § 155 Abs. 2 Satz 1 FamFG.
Diese gesetzlich geforderte mündliche Erörterung in diesen Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit/FG steht der zivilprozessualen Verhandlung aber nicht gleich. Die Erwägung, auch in Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit einen vergütungsrechtlichen Anreiz für anwaltliche Verfahrensbevollmächtigte zu schaffen, um an sich obligatorische gerichtliche Termine entbehrlich zu machen, ist vor allem unter Kindeswohlgesichtspunkten (§ 1697a BGB) grundsätzlich sachgerecht und wäre ebenso sinnvoll wie wünschenswert.
a) Einer analogen Anwendung des (Termins-)Gebührentatbestands auf Erörterungen steht allerdings der klare Wortlaut einer obligatorischen mündlichen Verhandlung als Voraussetzung der fiktiven Terminsgebühr entgegen (vgl. OLG München, Beschluss vom 20. September 2019 - 11 WF 666/19 -, juris Rn. 14 m.w.N.):
Zum einen besteht schon ein erheblicher Unterschied zwischen einer mündlichen Verhandlung und einer mündlichen Erörterung, die im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit/FG stattfindet. Bei ersterer ist wegen des zivilprozessualen Grundsatzes der Mündlichkeit (§ 128 Abs. 1 ZPO) nur Grundlage der Hauptsacheentscheidung, was auch Gegenst...