Leitsatz (amtlich)

Eine aus der pandemiebedingten Verschiebung von Hauptverhandlungen (hier: im Berufungsverfahren) resultierende Verlängerung der Untersuchungshaft, die auf ein außerhalb der Sphäre der Justiz liegendes schicksalhaftes Ereignis zurückgeht, ist von einem Angeklagten in gewissen Grenzen hinzunehmen.

 

Verfahrensgang

LG Erfurt (Entscheidung vom 26.03.2020; Aktenzeichen 3 Ns 140 Js 7078/19 jug)

 

Tenor

Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen.

 

Gründe

I.

Der Angeklagte wurde am 02.04.2019 aufgrund des ihm am 03.04.2019 eröffneten Haftbefehls des Amtsgerichts Weimar vom 13.03.2019 festgenommen und befindet sich seitdem ununterbrochen in Untersuchungshaft.

Mit an die Anklage vom 05.06.2019 angepasstem und dem Angeklagten am Tag seines Erlasses eröffneten - auf den Haftgrund der Fluchtgefahr und subsidiär den der Wiederholungsgefahr gestützten - Haftbefehl des Amtsgerichts Weimar vom 25.06.2019 wird dem Angeklagten sexuelle Belästigung und Vergewaltigung vorgeworfen (§§ 177 Abs. 1, Abs. 5 Nr. 1, Nr. 3, Abs. 6 Nr. 1, 184i Abs. 1, Abs. 3, 53 StGB). Konkret wird ihm zur Last gelegt, die am ... geborene A. R. am 09.03.2018 berührt und an deren Hose gegriffen sowie versucht zu haben, die Hose zu öffnen und mit dieser am 06.03.2019 in seinem Kleinlastwagen zu einem von M. aus in Richtung M. gelegenen abgelegenen Waldstück gefahren und dort mit ihr - unter Abschneidung des einzigen Fluchtweges - gegen ihren erkannten Willen unter anderem den Oralverkehr vollzogen zu haben, indem er sie am Kopf festgehalten und ihr sein Glied in den Mund geschoben und hiernach geschlechtsverkehrähnliche Bewegungen ausgeführt habe und - nachdem sich die Geschädigte seinem Griff entwinden konnte - vor deren Augen weiter an seinem Glied bis zum Samenerguss manipuliert zu haben.

Mit Beschluss vom 25.06.2019 ließ das Amtsgericht Weimar die Anklage zur Hauptverhandlung zu, eröffnete das Hauptverfahren vor dem Jugendschöffengericht als Jugendschutzgericht und ordnete die Fortdauer der Untersuchungshaft aus dem Haftbefehl des Amtsgerichts Weimar vom 25.06.2019 an.

Im Ergebnis der vom 17.07. bis 02.10.2019 (6 Verhandlungstage) andauernden Hauptverhandlung sprach das Amtsgericht Weimar den Angeklagten mit Urteil vom 02.10.2019 der Vergewaltigung und der sexuellen Belästigung schuldig, verurteilte ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 7 Monaten und ordnete mit Beschluss vom selben Tag die Fortdauer der Untersuchungshaft an.

Gegen das Urteil vom 02.10.2019 haben der Angeklagte mit Schriftsätzen seiner Verteidiger jeweils vom 04.10.2019 und die Staatsanwaltschaft mit Schriftsatz vom 03.10.2019 (letztere unter Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch) Berufung eingelegt.

Seine auf den 09.12.2019 und den 15.01.2020 datierenden - gleichlautenden - Anträge auf mündliche Haftprüfung nahm der Angeklagte im Termin zur Haftprüfung am 07.02.2020 zurück.

Mit Verfügung vom 10.02.2020 bestimmte der Vorsitzende der 3. Strafkammer des Landgerichts Erfurt Termin zur Berufungshauptverhandlung auf den 26.03.2020 und Termine zur Fortsetzung auf den 27. und 30.03. sowie den 20., 23. und 24.04.2020.

Mit Beschluss vom 18.03.2020 hob der Vorsitzende alle Termine ab dem 26.03.2020 auf und kündigte an, dass neuer Termin von Amts wegen ergehe. Zur Begründung ist ausgeführt, dass wegen der Corona-Pandemie aus Schutzgründen nicht verhandelt werde.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers G. vom 19.03.2020 stellte der Angeklagte Antrag auf mündliche Haftprüfung, Aufhebung des Haftbefehls des Amtsgerichts Weimar vom "13.03.2019" und hilfsweise Gewährung von Haftverschonung.

Das Landgericht - 3. Strafkammer - Erfurt hat die Anträge nach Einholung einer Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Erfurt mit näher begründetem Beschluss vom 26.03.2020 zurückgewiesen, Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet und hinsichtlich des weiteren Verfahrensgangs u. a. darauf hingewiesen, dass davon ausgegangen werde, dass die Berufungshauptverhandlung noch vor dem Sommer 2020 stattfinden könne.

Gegen den seinen Verteidigern am 30.03. bzw. 01.04.2020 zugestellten Haftfortdauerbeschluss richtet sich die mit Schriftsatz des Verteidigers P. am 08.04.2020 beim Landgericht Erfurt eingelegte und mit ihrer Einlegung näher begründete Beschwerde des Angeklagten vom selben Tag.

Das Landgericht Erfurt hat der Beschwerde mit Beschluss vom 14.04.2020 nicht abgeholfen und deren Vorlage an den Senat veranlasst.

Mit Schriftsatz vom 20.04.2020 hat sich der Verteidiger G. der Beschwerde angeschlossen und diese ergänzend begründet.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat die Akten dem Senat am 22.04.2020 vorgelegt und in ihrer Stellungnahme vom 21.04.2020 beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Dem ist der Angeklagte mit Schriftsatz seines Verteidigers P. vom 29.04.2020 entgegengetreten. Die weiteren Verfahrensbeteiligten haben von der ihnen eingeräumten Gelegenheit zur Stellungnahme keinen Gebrauch gemacht.

II.

1.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist - als letzte vorausgegan...

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