Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftprüfung durch das Oberlandesgericht. Beschleunigungsgebot. wichtiger Grund. Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft. Befangenheit eines Schöffen
Leitsatz (amtlich)
1. Die Aussetzung der Hauptverhandlung wegen eines als begründet erachteten Ablehnungsgesuchs betreffend einen Schöffen stellt keinen anderen wichtigen Grund i.S.d. § 121 Abs.1 S. 1 StPO dar, welcher die Fortdauer der Untersuchungshaft rechtfertigt (entgegen OLG Köln, Beschluss vom 01. Juni 2011 zu 2 Ws 301/11, NStZ 2012, 112).
2. Dass das Verhalten eines Schöffen in der Hauptverhandlung, welches einen Anlass zur Stellung eines begründeten Ablehnungsgesuchs gegeben und damit eine Ursache für die eingetretene Verfahrensverzögerung gesetzt hat, der Justiz zuzurechnen ist, folgt aus den gesetzlichen Regelungen zum Schöffenamt.
Normenkette
StPO §§ 121-122, 112; DRiG § 45a; GVG § 30 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Dortmund (Entscheidung vom 11.09.2019; Aktenzeichen 701 Gs 1629/19) |
LG Dortmund (Entscheidung vom 20.10.2020; Aktenzeichen 34 KLs 55/19) |
Tenor
Der angefochtene Haftbefehl in Gestalt des Haftfortdauerbeschlusses vom 20. Oktober 2020 - jeweils 34 KLs 55/19 - wird aufgehoben.
Der Angeklagte ist sofort aus der Untersuchungshaft zu entlassen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Angeklagten im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Landeskasse.
Gründe
I.
Der Angeklagte wurde am 13. November 2019 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Dortmund vom 11. September 2019 (701 Gs 1629/19) vorläufig festgenommen. Er befindet sich seit diesem Tag ununterbrochen in Untersuchungshaft, und zwar nach Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft Dortmund mit Anklageschrift vom 11. Dezember 2019 mittlerweile auf Grundlage des der Anklageschrift angepassten und am 19. Dezember 2019 verkündeten Haftbefehls der 34. großen Strafkammer des Landgerichts Dortmund (im Weiteren: Strafkammer) vom 17. Dezember 2019 in Gestalt ihres (letzten) Haftfortdauerbeschlusses vom 20. Oktober 2020.
Wegen der dem Angeklagten zur Last gelegten Taten und dem bisherigen Verfahrensgang wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Senatsbeschlüsse vom 06. Juli 2020 (III-1 Ws 251/20) sowie vom 04. August 2020 (III-1 Ws 290/20) Bezug genommen.
Nach (erstmaliger) Aussetzung der zunächst am 09. März 2020 begonnenen Hauptverhandlung durch Beschluss der Strafkammer vom 10. Juni 2020 begann die Hauptverhandlung am 07. August 2020 erneut. Fortsetzungstermine fanden am 10., 12., 17., 19., 25. und 27. August 2020, am 14. September 2020 sowie am 02. und 06. Oktober 2020 statt.
Am zehnten Verhandlungstag, dem 06. Oktober 2020, brachte der Angeklagte ein gegen den Schöffen T gerichtetes Ablehnungsgesuch an. Durch Beschluss vom 20. Oktober 2020 erachtete die Strafkammer dieses als begründet, setzte die Hauptverhandlung (erneut) aus und ordnete unter näheren Ausführungen, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, die Fortdauer der Untersuchungshaft an. Zudem legte sie die (elektronischen) Akten über die Generalstaatsanwaltschaft Hamm dem Senat zur Durchführung der Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO vor, wo sie am 27. Oktober 2020 eingingen.
Mit am selben Tag beim Landgericht Dortmund eingegangenem Schriftsatz seines Verteidigers Rechtsanwalt Prof. Dr. U vom 21. Oktober 2020 hatte der Angeklagte zwischenzeitlich Beschwerde gegen den Haftfortdauerbeschluss der Strafkammer vom 20. Oktober 2020 eingelegt und zur Begründung unter näheren Ausführungen, auf die Bezug genommen wird, im Wesentlichen ausgeführt, weder sei ein dringender Tatverdacht gegeben, noch bestehe der von der Strafkammer angenommene Haftgrund der Fluchtgefahr, zudem sei angesichts der „wiederholten Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot“ die „Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung nunmehr endgültig unverhältnismäßig“.
Dieser Beschwerde hat die Strafkammer mit Beschluss vom 23. Oktober 2020 aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung nicht abgeholfen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat zur Entscheidung über die Frage der Haftfortdauer nach §§ 121, 122 StPO unter dem 27. Oktober 2020 Stellung genommen und beantragt, die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate hinaus anzuordnen und die weitere Haftprüfung für die Dauer von drei Monaten dem nach den allgemeinen Vorschriften dafür zuständigen Gericht zu übertragen.
Zu der Haftbeschwerde des Angeklagten vom 21. Oktober 2020 hat die Generalstaatsanwaltschaft Hamm unter dem 30. Oktober 2020 Stellung genommen und beantragt, die Haftbeschwerde angesichts der zu erwartenden Entscheidung des Senats im besonderen Haftprüfungsverfahren nach §§ 121, 122 StPO für erledigt zu erklären.
Der Angeklagte und seine Verteidiger haben sich mit Schriftsatz des Verteidigers Rechtsanwalt Prof. Dr. U vom 29. Oktober 2020 (ausdrücklich abschließend) geäußert.
Die Hauptverhandlung wird ausweislich der Ladungsverfügung des Vorsitzenden vom 27. Oktober 2020 am 10. November 2020 erneut beginnen und an den urspr...