Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung für Behandlungsfehler nur bei Ursächlichkeit des Schadens
Leitsatz (amtlich)
1. Oberstes Gebot und Richtschnur des ärztlichen Handelns (also jedweder Heilbehandlung) ist das Wohl des Patienten. Bei der Behandlung eines Patienten schuldet der Arzt die im Verkehr erforderliche Sorgfalt (§ 276 BGB); diese richtet sich nach dem medizinischen Standard des jeweiligen Fachgebiets zum Zeitpunkt der Behandlung. Es gilt grundsätzlich der Facharztstandard bezogen auf den Zeitpunkt der Behandlung - aus ex ante Sicht. Eine (objektive) Verletzung dieser Sorgfaltspflicht bedeutet in der Vertragsebene einen Verstoß gegen die speziell einem Arzt obliegenden Berufspflichten, so dass sich der Arzt subjektiv nicht entlasten kann. § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB gilt insoweit im Arzthaftungsrecht nicht.
2. Leitlinien von ärztlichen Fachgremien (vgl. §§ 135 SGB V) begründen aber grundsätzlich den ärztlichen Standard (noch) nicht konstitutiv, sind also nicht unbesehen mit dem anzuwendenden medizinischen Standard (zum Behandlungszeitpunkt) gleichzusetzen. Bei einer (sog.) S3-Leitlinie handelt es sich aber um eine bereits evidenzbasierte Konsensusleitlinie mit Erfassung der systematischen Entwicklung (sog. Clearingverfahren), die einen Behandlungskorridor eröffnet, innerhalb dem sich der Arzt in seinem therapeutischen Ermessen bewegen sollte; mithin handelt es sich hier um eine Leitlinie mit starkem Empfehlungscharakter.
3. Eine Haftung des Arztes (aus Vertrag oder Delikt) besteht aber nur, wenn und soweit dem grundsätzlich schuldhaften Behandlungsfehler ein darauf beruhender Schaden (des Patienten) ursächlich zurechnen lässt. Dieser haftungsrechtliche Grundsatz besteht auch im Arzthaftungsrecht. Eine haftungsbegründende ursäch-liche Verknüpfung zwischen Behandlungsfehler und Primärschaden besteht dann, wenn der primäre Schaden auf die festgestellte Fehlbehandlung zurückzuführen ist und wenn bei einer regelgerechten (lege artis), also eine dem medizinischen Soll-standard entsprechenden Behandlung diesen Schaden vermieden worden wäre. An der Ursächlichkeit des Primärschadens (und weiterer Schäden) fehlt es, wenn feststeht, dass hierfür eine andere Verursachungskette bei fehlerfreier, also regel-gerechter Behandlung in entsprechender Weise ebenso entstanden wäre (sog. hypothetischer Behandlungsverlauf), was von der Behandlungsseite zu beweisen ist.
Normenkette
BGB §§ 176, 280 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Erfurt (Urteil vom 15.05.2007; Aktenzeichen 10 O 154/04) |
Tenor
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des LG Erfurt vom 15.05.2007 - 10 O 154/04 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen den Klägern zur Last.
Das Urteil ist - wegen der Kosten - vorläufig vollstreckbar.
Die Kläger können die Vollstreckung - wegen der Kosten - durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Kostenbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Gründe
I. Die Kläger begehren Schmerzensgeld und (materiellen) Schadensersatz aus übergegangenem Recht wegen (behaupteter) ärztlicher Behandlungs- und Aufklärungsfehler im Zusammenhang mit der am 18.1.2001 im K. Krankenhaus St. N. in Erfurt von dem Beklagten zu 2) durchgeführten Operation ihrer Mutter (I. K.) und der bis zu deren Tod am 10.03.2001 erfolgten Nachbehandlung.
Der am 08.12.1940 geborenen Mutter der Kläger wurden bereits 1957 wegen eines gutartigen Geschwürdurchbruchs 2/3 des Magens (Bilroth II Op. ohne Fußpunktanastomose) entfernt. 1982/83 war bei Frau K. zudem eine Cholezystektomie (Entfernung der Gallenblase) durchgeführt worden. Auf dem Boden der Magen-Voroperation entwickelte sich ein bösartiges Magenstumpfkarzinom in dem verbliebenen 1/3 Restmagen im Bereich des Übergangs Restmagen/Dünndarm; dieses ca. 5 × 4,5 cm große Karzinom sollte in der Klinik der Beklagten zu 1. entfernt werden (sog. Restgastrektomie).
Frau K. wurde - im Zusammenhang mit der vorgesehehen Restgastrektomie - im Katholischen Krankenhaus in Erfurt in der Zeit vom 08.01. bis 10.03.2001 auf Grund eines einheitlichen Krankenhausaufnahmevertrags behandelt. Ihr wurde am 17.01.2001 ein Merkblatt "Zweiteingriffe am operierten Magen" vorgelegt. Dieses enthielt u.a. den Hinweis, dass bei besonderen Umständen, die erst während des Eingriffs festgestellt werden, Änderungen und Weiterungen notwendig werden könnten, für die (ebenso) eine Einwilligung erbeten wird. Am 17.01.2001 unterschrieb Frau K. dieses Merkblatt auch mit dem Zusatz, dass sie mit Weiterungen und Änderungen des Eingriffs einverstanden sei. Am 18.01.2001 führte der Beklagte zu 2) (als Oberarzt) die Operation durch. Unter der Operation stellte sich der Tumor anders dar als präoperativ diagnostiziert. Intraoperativ glaubte der Beklagte zu 2), dass der fest am Zwerchfell verbackene Tumor bereits in die Nachbarorgane der Milz, des milzseitigen Bereichs der Bauchspeicheldrüse (Pankreasschwanz) und in die Fettgewebsverbindung zwischen Magen und Querdickdarm (Ligamentu...